Konjunktur: Es läuft nicht rund

BERLIN. Wenn die großkoalitionäre Arbeitsgruppe Finanzen heute erstmals in Berlin zusammenkommt, erwartet sie ein besonders schwieriger Job. Es geht um viele Subventionen, noch mehr Schulden und den Haushaltskurs im kommenden Jahr. Die sechs führenden Wirtschaftsinstitute haben dafür im jüngsten Herbstgutachten keine Ermutigung parat.

Für das laufende Jahr korrigierten die Wirtschaftsinstitute ihre Wachstumsvorhersage geringfügig von 0,7 auf 0,8 Prozent. 2006 werden zwar 1,2 Prozent erwartet. Doch das ist eine spürbare Korrektur nach unten. Bei der Prognose im Frühjahr hatte man noch einen Zuwachs von 1,5 Prozent unterstellt. Damit verschärft sich die Finanznot, was allerdings auch den Reformdruck erhöhen dürfte: "Die Situation ist so dramatisch, dass man es sich nicht leisten kann, grundlegende Änderungen in der Wirtschaftspolitik aufzuschieben", schreiben die Institute.Fatale Auswirkungen auf die Kassenlage

Das schwache Konjunkturniveau hat nach ihrer Einschätzung fatale Auswirkungen auf die Kassenlage und den Arbeitsmarkt. Zwar wird das Budgetdefizit der öffentlichen Haushalte im laufenden Jahr von 81 auf 78 Milliarden Euro sinken. Doch von einer Einhaltung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts ist Deutschland immer noch weit entfernt. Für 2005 erwarten die Wirtschaftsforscher eine Nettoneuverschuldung von 3,5 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Im kommenden Jahr sind 3,1 Prozent prognostiziert. Die zulässige Obergrenze liegt bei drei Prozent. Demnach würde Deutschland zum fünften Mal in Folge das europäische Defizit-Kriterium verletzen. Die düstere Lage auf dem Arbeitsmarkt zeigt sich auch im anhaltenden Abwärtstrend bei den sozialversicherungspflichtigen Jobs. Den gegenläufigen Trend, eine starke Ausweitung der Ein-Euro-Jobs im Zuge der Hartz-Reform, sehen die Experten mit Sorge. "Es mehren sich die Hinweise, dass durch solche Beschäftigungsverhältnisse reguläre Beschäftigung verdrängt wird", heißt es im Gutachten. Die Zahl der Arbeitslosen wird nach Einschätzung der Institute im kommenden Jahr um etwa 120 000 auf 4,76 Millionen zurückgehen. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote läge damit bei 10,9 Prozent (2005: 11,2 Prozent). Roland Döhrn vom federführenden Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftforschung in Essen räumte ein, dass die Prognosen in einer "etwas ungewöhnlichen Situation" entstanden seien. Schließlich könnte das künftige Regierungsprogramm noch einiges zum Besseren wenden. Der Glaube an den politischen Reformeifer hält sich bei den Konjunkturforschern allerdings in Grenzen. "Die bislang vorliegenden Pläne zur Haushaltskonsolidierung sind nicht sehr ehrgeizig", kritisierte Joachim Scheide vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Eine von der Union geplante Anhebung der Mehrwertsteuer gehöre nicht ins Konzept der Haushaltskonsolidierung. Stattdessen müssten die Ausgaben drastisch zurückgefahren werden. An dieser Stelle lobten die Institute unisono den früheren Vorschlag für einen radikalen Subventionsabbau. Eine politische Reaktion auf das Herbstgutachten wird schon für heute erwartet. Die amtierende Bundesregierung will ihre aktualisierte Wachstumsprognose vorstellen. Dem Vernehmen nach soll sie für 2006 ebenfalls auf 1,2 Prozent reduziert werden. Bislang war die Regierung von 1,6 Prozent ausgegangen.

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