Konjunkturgipfel im Kanzleramt

Autogipfel, Konjunkturgipfel, Krisengipfel: Mit einer breiten Dialog-Offensive, die an die "Konzertierte Aktion" in der Bundesrepublik Ende der 60er Jahre erinnert, will die Große Koalition den drohenden Wirtschaftscrash bekämpfen. Bei der jüngsten Spitzenrunde am Sonntagabend im Kanzleramt gab es zumindest einen Lichtblick: Große Unternehmen stellten in Aussicht, 2009 auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten.

Berlin. Das Treffen der rund 30 Führungsleute aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften ging bereits in die vierte Stunde, als Siemens-Chef Peter Löscher einen überraschenden Vorschlag unterbreitete: Bei Kassler und Grünkohl regte der Konzernboss für das kommende Jahr einen Kündigungsverzicht an. Allerdings mit zwei Einschränkungen: Zum einen solle sich die freiwillige Verpflichtung nicht auf Leiharbeiter beziehen. Und zum anderen müsse es eine Art Katastrophenklausel geben. Das heißt, bei unerwartet stärkeren Absatzeinbrüchen hätte sich der gute Vorsatz erledigt.

Teilnehmern zufolge fand die Idee bei den allermeisten trotzdem ein positives Echo. Nur die Gewerkschaftsseite hob mahnend den Finger, dass man die Leiharbeiter nicht einfach im Regen stehen lassen könne.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm Löscher beim Wort und lud die Chefs der 30 großen Dax-Unternehmen spontan zu einem Gespräch ein. Im Januar soll darüber verhandelt werden, den Entlassungs-Stopp auch bei anderen Konzernen so verbindlich wie möglich zu gestalten. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sprach gestern von flankierenden Maßnahmen für den Arbeitsmarkt, um Kündigungen zu vermeiden. Eine Arbeitsgruppe mit Experten des Bundesarbeitsministeriums soll dazu weitere Vorschläge unterbreiten. Möglich wären zum Beispiel verstärkte Subventionen durch die Arbeitsagenturen sowie ein Ausbau von Qualifizierungsmaßnahmen.

Zweites Konjunkturpaket ist in der Diskussion



Eine zweite Arbeitsgruppe, auf die sich die Spitzenrunde verständigte, befasst sich mit den Problemen im Finanzverkehr. Trotz des milliardenschweren Rettungspakets für die Banken hat nach Angaben der Wirtschaft etwa jedes dritte Unternehmen Schwierigkeiten, von den Kreditinstituten frisches Geld zu bekommen.

Breit diskutiert wurde über ein zweites Konjunkturpaket, das nach Überzeugung der meisten Anwesenden einen Umfang zwischen 25 und 50 Milliarden Euro haben müsste. Das wären bis zu zwei Prozent des deutschen Bruttosozialprodukts. Dem Vernehmen nach reagierte Merkel zurückhaltend auf die Forderung. Dahinter steckt offenbar das Kalkül, zunächst einmal die Entwicklung in den USA abzuwarten. Am 20. Januar übernimmt Barack Obama offiziell die Amtsgeschäfte von Präsident Bush. Und nach den Worten von Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) will die Regierung erst Ende Januar über weitere Maßnahmen zur Abfederung der Rezession entscheiden. Klar ist, dass es vor allem um zusätzliche öffentliche Investitionen geht. Über entsprechende Projekte will Merkel bereits auf der Ministerpräsidenten-Konferenz der Länder diskutieren, die am Donnerstag in Berlin stattfindet. Solche Maßnahmen wirken allerdings nur längerfristig. Deshalb redete man im Kanzleramt auch über mögliche Schnellschüsse, sprich, Konsumgutscheine. Was die Gewerkschaftsvertreter wärmstens befürworteten, stieß bei den Regierungsvertretern von Union und SPD einhellig auf Ablehnung.

Ein weiterer Bestandteil des neuen Konjunkturpakets könnte der Abbau der "kalten Progression" sein. Lohnzuwächse würden dann nicht mehr von der Steuer aufgefressen. Am Ende der Veranstaltung herrschte der Eindruck, dass die Regierung nicht um ein zweites Konjunkturpaket herum kommt.

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