Länder erklären Debatte für beendet

BERLIN. In aller Ruhe verkündete Jürgen Rüttgers gestern das Abstimmungsergebnis. 15 mal Ja, eine Enthaltung, so habe die Runde der 16 Ministerpräsidenten in einer Sondersitzung in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung votiert. "Insofern ist das heute der Abschluss der Verhandlungen und nicht der Start neuer", ergänzte der Düsseldorfer Regierungschef trocken.

Für die Länderchefs ist das Thema Föderalismusreform erledigt. Nur Mecklenburg-Vorpommern mochte noch nicht explizit zustimmen, wird dies aber wohl, so erklärten Sitzungsteilnehmer, im Bundesrat nachholen. Rüttgers Aussage wurde von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ausdrücklich unterstützt. "Wer meint, jetzt noch dagegen zu sein, muss wissen, was dann passiert." Die Ministerpräsidenten ließen mit diesen Sätzen SPD-Fraktionschef Peter Struck ziemlich allein im Berliner Schnee stehen. Dieser hatte nämlich zugesagt, über das Paket von rund 40 Grundgesetzänderungen zur Neuregelung der Beziehungen von Bund und Ländern könne nach der Einbringung in beide Kammern noch ausführlich diskutiert werden. Auch Änderungen seien möglich, wenn sie denn einvernehmlich seien. Nun haben er und etliche SPD-Abgeordnete, die das Projekt kritisieren, den Schwarzen Peter. Schon wird spekuliert, ob die große Koalition im Bundestag die Zweidrittelmehrheit zustande bringen wird oder ob die FDP fehlende SPD-Stimmen wird ausgleichen müssen. Schon mahnte CDU-Fraktionschef Volker Kauder den Koalitionspartner: "Wir erwarten jetzt von der SPD, dass sie den Weg frei macht für die größte Reform des Grundgesetzes seit Bestehen der Bundesrepublik." Schließlich stehe das Vorhaben auch im Koalitionsvertrag, betonte Kauder. Dass die SPD in eine so unkomfortable Situation geraten ist, hat auch mit der Dramaturgie des Tages zu tun. Bereits am Morgen beschloss der CDU-Bundesvorstand einstimmig, die Reform zu unterstützen. Unions-Generalsekretär Ronald Pofalla erklärte, von seiner Seite werde bei den bevorstehenden Beratungen am Freitag in Bundestag und Bundesrat "keine einzige Änderung" vorgetragen werden. Drei Stunden vor Beginn der SPD-Fraktionssitzung, auf der die Kritiker zu großer Form auflaufen wollten, machte dann die Bundeskanzlerin höchstpersönlich Stimmung für das Gesetzespaket. In einer Sondersitzung verabschiedete das Kabinett das Vorhaben, und Angela Merkel erklärte hinterher feierlich, heute sei ein "großer und wichtiger Tag für die bundesstaatliche Ordnung". Die Landtage bekämen mehr Entscheidungsmöglichkeiten, die Verantwortung für Zukunftsfragen werde klarer zugeordnet, kurzum, die Bundesrepublik Deutschland beweise damit ihre Handlungsfähigkeit. "Nur eine große Koalition konnte dazu die Kraft aufbringen", sagte Merkel. Und dann kam kurz danach auch noch die CDU-Bundestagsfraktion, die das Vorhaben einstimmig bei zwei Enthaltungen annahm. Wer wollte da noch ausscheren? Die SPD-Linke will. Andrea Nahles, Sprecherin der Gruppe, sagte unserer Zeitung, der Bundestag lasse sich das Recht nicht nehmen, eigenständig zu entscheiden. "Wir sind das Parlament, und ich als Abgeordnete hänge meine Verantwortung nicht einfach an den Nagel." Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Auch sie sei für klarere Kompetenzverteilungen, aber in einigen Bereichen erreiche die Reform nicht einmal das selbst gesteckte Ziel. Und Nils Annen, Ex-Juso-Chef, sagte mit Blick auf Kauder: "Man kann die größte Grundgesetzänderung in der Geschichte nicht ohne intensive Diskussion beschließen." Probleme mit der Reform haben in der SPD vor allem die Bildungspolitiker, weil die Bildungskompetenz nun ganz bei den Ländern liegt, und die Umweltpolitiker, weil die Länder von nationalen Bestimmungen abweichen dürfen. Die Zahl der Kritiker ist groß, und es sind beileibe nicht nur die Parteilinken. Fraktionschef Struck zeigte sich von der Mahnung seines Kollegen Kauder zunächst unbeeindruckt. "Der Koalitionsvertrag bedeutet nicht, dass wir nicht die Möglichkeit haben, diese wichtige Reform intensiv zu erörtern." Struck plant nun eine mehrtägige Anhörung zu dem Gesetzespaket mit Experten.

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