"Lasst uns in Ruhe”

BERLIN. Der Präsident des deutschen Hochschulverbandes (DHV), Hartmut Schiedermair, fordert ein Ende des "Geredes” von den zweit- und drittklassigen deutschen Hochschulen. Die Schaffung von Spitzen-Universitäten führe keinesfalls automatisch zu mehr Bildungs-Qualität, sagte der Kölner Professor gegenüber dem Trierischen Volksfreund .

Der Kanzler und die Sozialdemokraten wollen dieses Jahr zum Jahr der Bildung und Innovation machen. Da müssten Sie doch kräftig applaudieren, oder? Schiedermair: Na ja. Wir sollten uns erst mal darüber verständigen, was Bildung ist. Ich habe ernste Zweifel, ob die Politik dies noch weiß. Wir verstehen darunter, dass auch noch in zehn und 15 Jahren gut ausgebildete Hausärzte, Lehrer oder Juristen der Gesellschaft zur Verfügung stehen. Damit stoßen wir bei der Politik aber auf taube Ohren, weil sie Bildung als ein Produkt ansieht, das nur wirtschaftlichen Gesichtspunkten unterliegt. Für schnelle ökonomische Erfolge zu sorgen, kann jedoch nicht die Aufgabe der Universität sein.Das hört sich nicht so an, also ob Sie sonderlich großes Vertrauen in die Bildungsoffensive der Regierenden hätten. Schiedermair: Zunächst ist es schon erfreulich, dass endlich erkannt wird, für die Universitäten muss mehr getan werden. Es entbehrt allerdings nicht einer gewissen Komik, das ausgerechnet diejenigen jetzt nach Elite und mehr Leistung schreien, die die Misere angerichtet haben. Ich nenne nur ein Beispiel: Hinter uns liegt eine jahrelange Gesamtschulpolitik, die uns den Boden in der Qualität der Studienanfänger entzogen hat.Sie kommen aus der Praxis, wie erleben Sie die Realität an den Hochschulen noch? Schiedermair: Jährlich fehlen den Unis sechs Milliarden Euro durch radikale Mittelkürzungen. Bundesbildungsministerin Bulmahn sagt uns, mehr Studenten, aber weniger Professoren; Stellen werden also gestrichen, bürokratische Kontrollen ausgebaut - die Unis sind heute unglaublichen Zwängen ausgesetzt, dauernd müssen Berichte geschrieben werden, die Fremdbestimmung ist unerträglich. Das ist die tatsächliche Welt der Lehre. Jetzt mehr Leistung zu verlangen, ist - milde ausgedrückt - unverfroren.Die SPD-Führung debattiert derzeit in Weimar ja auch die Schaffung von Eliteuniversitäten. Wäre dies ein probates Mittel für mehr Qualität im Hochschulbereich? Schiedermair: Damit grast der Bund natürlich im Garten der Länder. Ich warne dringend davor. Schon deshalb, weil das, was uns Frau Bulmahn in den letzten Jahren eingebrockt hat, nicht gerade für die Mitwirkung des Bundes spricht. Ich halte nichts von einer Spitzenuniversität, die dann andere degradiert. Wir sind für den freien und offenen Wettbewerb der Universitäten, die dazu aber in die Lage versetzt werden müssen. Ich habe jedenfalls die Nase voll von solchen und anderen staatlichen Regulierungen.Aber geht es dabei nicht ebenso um die Frage, wie man im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen kann? Schiedermair: Was mich stört, sind solche Sätze und Worthülsen wie: Wir müssen wieder erstklassige Hochschulen haben wie in England oder Amerika. Das internationale Ansehen der deutschen Universitäten wird doch vor allem durch das immer wiederkehrende Gerede der Politiker beschädigt, die sagen, sie seien zweit- oder drittklassig. Trotz einer Steigerung der Studierendenzahlen um 100 Prozent in den letzten 20 Jahren bei einem Rückgang der Professorenstellen hat sich die Ausbildungsqualität unbestritten nicht verschlechtert. Wir wissen allerdings, dass wir in der Forschung inzwischen schwere Defizite haben. Ich kann nur sagen: Stattet die Hochschulen angemessen aus, ansonsten werden sie wie die Schulen in zehn Jahren wirklich ihr "Pisa” erleben. Und lasst uns endlich in Ruhe arbeiten. S Mit Hartmut Schiedermair sprach unser Korrespondent Hagen Strauß.

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