Leben am Limit

TRIER. Können Sie sich vorstellen, mit 70 Euro im Monat auszukommen? Peter Meier (Name verändert) wird es müssen. Denn so viel bleibt vom 1. Januar an noch in seinem Portemonnaie zur freien Verfügung, wenn Hartz IV in Kraft tritt.

Von den nackten Zahlen her ist das Beispiel unvorstellbar. Doch wenn Peter Meier seine Berechnungstabelle zur Hand nimmt, wird seine Zukunft ab dem kommenden Jahr plastisch, glaubwürdig - und hart. Mit "Hartz IV" wird der 45-Jährige als Westdeutscher im Monat 345 Euro Regelleistung vom so genannten "Arbeitslosengeld II" bekommen. Das Gesetz tritt mit dem 1. Januar 2005 in Kraft und legt Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammen. Rechnet der Arbeitslose seine monatlichen Ausgaben für die Auto-, Unfall-, Rechtschutz- und Lebensversicherung sowie die Tilgung eines Kredites und das Telefon ab, so werden ihm von 345 Euro noch 70 Euro im Monat zur freien Verfügung bleiben. Vorausgesetzt, er muss für seine jetzige Unterkunft nichts abgeben. Macht noch rund 2,30 Euro pro Tag. "Ich fühle mich menschlich ausgezogen. Hoffnungslos", beschreibt Meier seinen Seelenzustand.Schon jetzt Minimum an Versorgung und Würde

Kein Wunder, hat er doch heute schon sein Leben auf ein Minimum an Versorgung und Würde reduziert. Als der gelernte Einzelhandelskaufmann vor gut zwei Jahren seinen Job in einem Elektronik-Fachmarkt verliert, beginnt für ihn die typische Odyssee einer Arbeitslosenkarriere. Arbeitsamt, arbeitssuchend, 50 Bewerbungen, sechs Angebote, ein Vorstellungsgespräch. "Ich habe Schulungen im Bereich EDV, Internet und Bürokommunikation gemacht. Aber wer nimmt denn einen gerade Geschulten ohne Erfahrung mit einem anderen Beruf", fragt Peter Meier. Vorwürfe an potenzielle Arbeitgeber oder Arbeitsvermittler schwingen da nicht mit, eher Ratlosigkeit. Privat bedeutet das Leben ohne Job für den Trierer nicht nur sozialer Abstieg, sondern auch Vereinsamung. Er zieht mit Anfang 40 wieder bei den Eltern ein, zahlt ihnen für Kost, Logis und Familienanschluss 225 Euro im Monat. "Es ist absolut unbefriedigend, sich in diesem Alter eingestehen zu müssen, dass man nicht für sich sorgen kann", sagt Peter Meier peinlich berührt. Ein Grund, warum er seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung sehen mag.Freizeit-Aktivitäten alle drei Monate

Alles ist auf ein Minimum reduziert: Ein Essen im Restaurant, ein Bier in der Kneipe, ein Disko-Besuch - abgesehen davon, dass Meier nicht nach großer Gaudi zumute ist, sind Freizeit-Aktivitäten ohnehin nur alle drei Monate drin. Wenn er eisern spart. Die alten Schuhe nochmals besohlen oder die Hose ausbessern lassen - Entscheidungen, die ein paar Cent mehr im Portemonnaie für die Zehn-Euro-Praxisgebühr oder Auto-Ersatzteile ermöglichen. Von rund 660 Euro monatlicher Arbeitslosenhilfe bleiben ihm derzeit noch etwa 155 Euro zur freien Verfügung. "Damit habe ich mich arrangiert. Aber ich lebe am Limit", sagt Peter Meier. Jede unvorhergesehene Ausgabe zehrt mühsam geschaffene Reserven auf. Mit Hartz IV muss Peter Meier künftig jede Arbeit annehmen, zu der er "geistig, seelisch und körperlich in der Lage ist", heißt es in dem Gesetz; selbst wenn sie unter Tarif bezahlt wird. Auch zu Minijobs ist er verpflichtet. Zudem liegt die Beweislast bei dem Arbeitslosen, der sein Bemühen um einen neuen Job nachweisen muss. Wenn nicht, wird die Regelleistung um ein Drittel gekürzt. "Nun werde ich in einer Notlage gezwungen, eine Arbeit anzunehmen, die mir meinen Lebensunterhalt nicht einmal sichern kann", sagt Meier. Eine weitere Verschlechterung seiner Lage grenze an menschenunwürdiges Verhalten. "Ich fühle mich verwaltet und in eine Ecke gedrängt." Einziger Strohhalm für den 45-Jährigen ist eine Verfassungsklage. Per Internet hat er Kontakt zu anderen Betroffenen. Auch die PDS erwägt derzeit den Gang vor den Kadi. Peter Meier: "Noch leben wir in einem Sozialstaat. Mit dem Arbeitslosengeld II werde ich systematisch in die Armut gestürzt."

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