Letzte Karte: Iran

BERLIN. Benutzt der Kanzler den Atomkonflikt mit dem Iran zu Wahlkampfzwecken? Wo man gestern auch hinhörte, im rot-grünen Lager gab man sich betont empört angesichts dieser Frage. Selbst Außenminister Joschka Fischer ließ von seiner Wahlkampfreise durch den schönen Spreewald wissen: "Ich verstehe die Aufregung der Union, aber in der Sache ist das Unsinn." Ist es das wirklich?

Die Opposition schäumt. Durch Schröders Absage an einen Waffengang im Iran fühlt sie sich an den Wahlkampf 2002 erinnert, als der Kanzler mit seinem plötzlichen Nein zum Irak-Krieg das Blatt noch zu seinen Gunsten wenden konnte. Aber: Nach Ansicht der Demoskopen lässt sich der Irak nicht einfach durch den Iran als Wahlkampfthema ersetzen. Drei Jahre ist es her, dass Gerhard Schröder die Bundestagswahl im letzten Moment für sich entscheiden konnte, indem er deutlich gegen einen Irak-Krieg Stellung bezog. Nur wenige Wochen nach dem Urnengang, erinnern sich die Meinungsforscher, war das Vertrauen der Wähler schon wieder dahin, als die Bundesregierung den USA Überflugrechte einräumte und die Nutzung ihrer Militärbasen erlaubte.Jetzt will der Niedersachse erneut als Friedenskanzler punkten: "Nehmt die militärischen Optionen vom Tisch, wir haben erlebt, dass sie nichts taugen", hatte er am Wochenende beim Wahlkampfauftakt der SPD in Hannover gerufen. Und gestern ließ der neuerdings so gut gelaunte Regierungschef verkünden, er werde von diesem außenpolitisch brisanten Thema nicht lassen: Schröder wolle weiter gegen eine militärische Lösung des Atom-Streits argumentieren, sagte Regierungssprecher Thomas Steg genüsslich.

Die Union kocht vor Ärger. Der Kanzler spalte mit seiner Absage an eine militärische Option die Weltgemeinschaft, schimpft die Opposition. CDU-Außenexperte Wolfgang Schäuble sieht sogar die Gefahr einer iranischen Atombombe steigen. "Wir brauchen Entschlossenheit und nicht jeden Tag neue Gespensterdebatten", so Schäuble.

Noch mehr als den außenpolitischen Schaden fürchtet man die Wirkung des Schröder'schen Schachzuges nach Innen: "Das ist eine absolut durchsichtige Geschichte", hofft der saarländische Ministerpräsident Peter Müller inständig, dass sich der Wähler vom Kanzler nicht hinters Licht führen lässt. "Da es ja eine Flut nicht mehr gibt, muss jetzt das Thema Krieg herhalten", wettert er.

Auch wenn eine große Mehrheit der Deutschen (71 Prozent) laut einer gestern veröffentlichten Umfrage das Atomprogramm Teherans für eine Bedrohung des Weltfriedens hält - die Demoskopen sind sich einig, dass der Streit mit dem Iran und die Frage eines militärischen Eingreifens als Wahlkampfthema nicht wirklich zünden und Prozente bringen wird: "Nein, das verfängt nicht. Es ist einfach zu offensichtlich", glaubt Klaus-Peter Schöppner von Emnid, dass Schröders Kriegskarte nicht erneut stechen wird. 2002, so der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, gegenüber unserer Zeitung, habe es eine "messbare Furcht gegeben, die heute nicht vorhanden ist. Der Stellenwert des Iran ist nicht annähernd so groß wie der des Irak 2002." Der Kanzler könnte sich also verkalkuliert haben.

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