Lieber auf dem Sofa kumpeln

KÖLN. Selten wurde übereine Sendung, die noch niemand gesehen hatte, schon im Voraus so viel diskutiert wie über Anke Engelkes "Late Night Show". Dafür werden wohl jetzt, wo sie zu sehen ist, nicht mehr so viele Worte darüber zu verlieren sein.

Niemand käme auf die Idee, Ulrich Wickert mit Anne Will zu vergleichen, nur weil die beiden im Wochenwechsel zur selben Stunde im selben Programm auftreten. Seit jedoch bekannt wurde, dass Anke Engelke dem kreativ pausierenden Harald Schmidt nachfolgen würde, konnte sie tun und sagen, was sie wollte: Aus dem Schlagschatten von "Dirty Harry" schien kein Entkommen möglich. Da mochte die 38-Jährige noch so oft behaupten, den Schauspieler-Kabarettisten-Comedian nicht imitieren zu wollen - wer in die Leere rutscht, die eine Kultsendung hinterlässt, steht erst mal mit dem Rücken zur Wand und hat eine schwere Hypothek auf den Schultern. Allenfalls Donald Duck hätte als Platzhalter das Lückenfüllen ohne vorauseilende Kritikerschelte und Kollegenhäme überstanden. Aber es musste ja unbedingt ein Talkformat sein, und möglichst nichts Bräsig-Braves wie von Kerner und Konsorten, sondern etwas Peppig-Aufmüpfiges mit flapsig-flottem Zungenschlag. Hatte nicht Sat.1-Geschäftsführer Roger Schawinski persönlich verkündet, diese Show sei "die wichtigste und prestigeträchtigste Sendung, seit ich bei Sat.1 bin"? Das konnte man zwar als Ermunterung, durchaus aber auch als Drohung auffassen. Und obendrauf hat er noch 20 000 Euro gesetzt, die er verliert, wenn die Sache floppt, während der holländische Miesmacher Rudi Carell seine 10 000, die er dagegen hält, Gewinn bringend anlegen kann.Ladykracher mit nassem Pulver

Zurück zu Engelke, die nicht wie Schmidt sein wollte. Warum, zum Teufel, tritt sie dann in derselben Kulisse auf? Warum versucht sie sich im Aufwärmsegment, vulgo "warm up", mit tagesaktuellen(Polit-)Witzchen, die sichtlich und hörbar nicht ihr Ding sind ("PKW-Maut ist wie Straßenstrich ohne Sex", haha) und die Applaus nur kriegen, weil irgendein Assistent die entsprechenden Tafeln jenseits der Kamera hochhält? Lediglich ihr mehr oder weniger hilfloses Händeringen bemerkt der Zuschauer und ahnt: Hier glimmt ein Ladykracher, dem das Pulver nass geworden ist. Sie selbst merkt das wohl auch und reagiert entsprechend hippelig und aufgekratzt. Bis die ersten Sketch-Einspielungen kommen (die einfach wieder Klasse sind, denn das kann sie wirklich) und endlich dieGäste, damit sie nicht so allein auf der großen weiten Bühne steht. Ex-"Wochenshow"-Kollege Bastian Pastewka, noch ganz im Banne der "Wixxer"-Dreharbeiten, vergeigt sämtliche Geschicklichkeitsspielchen mit dem Jojo, die ihm im Film so gut gelungen sind; dafür reißt er die Unterhaltung weitgehend an sich und lässt Frau Engelke ein wenig Muße zum Verschnaufen. Dann kommt Sting, dem geht es nicht gut, was man ihm auch ansieht, und recht schwunglos ein noch kaputterer Max Mutzke mit seinem Mentor, dem televisionären Brechmittel Stefan Raab im Gefolge, dem der in Istanbul Achtplatzierte bleich und dankbar das Gerede überlässt.Ein paar Gramm Zynismus wären nicht schlecht

Klar, Anke Engelke ist frisch und sympathisch und nett zu ihren Besuchern, kumpelt mit ihnen lieber auf dem Sofa rum als vom Schreibtisch aus, hinter dem sie wirkt wie eine Sekretärin, die den Terminkalender vom Chef verkuhwedelt hat. Aber worüber sie reden, diese glitzy people, wenn sie nach wuseliger Hektik alle wieder auf der weißen Couch sitzen, das könnte auch Gesprächsthema in der VW-Werkskantine oder beim Friseur sein. Nein, keine Vergleiche, das wäre jetzt billig - aber ein bisschen bissig, ein paar Gramm Zynismus, mit denen Schmidt sein nicht immer geschmackssicheres, dafür nie geschmacksneutrales Mitternachtssüppchen würzte, das dürfte "Anke Late Night" in Zukunft schon sein und haben, damit man nicht zu viel Espresso trinken muss, um vorm Bildschirm wach zu bleiben. Also was nun - kann Schawinski seine 20 Riesen behalten? Okay, Zuschauer waren genügend da, 2,46 Millionen, das sind 22,5 Prozent; zum Vergleich: Beckmanns Babbel-Bacchanal im Ersten zog gerade mal 1,31 Millionen Spätgucker an. Doch man bedenke: Das erste Mal sagt gar nichts über die Güteklasse aus; das ist im Showbiz nicht anders als beim Sex. Langfristig erst erweist sich wahre Qualität.Warten wir also mal auf die 31. oder 79. Nacht.Harald Schmidt hat sich schließlich auch eine ziemlich lange Anlaufphase gegönnt, ehe er Kultwurde. Und Mijnheer Carell kann seine Marie ja vorläufig in ProSiebenSat.1-Aktien anlegen.

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