"Macht geht vor Völkerrecht"

TRIER. Die USA setzen sich über das Völkerrecht hinweg. Das ist die Meinung des Trierer Völkerrechtlers Meinhard Schröder. Der Jura-Professor spricht im TV- Interview über die Grenzen internationaler Vereinbarungen und des deutschen Grundgesetzes.

Haben Sie nach dem Bush-Ultimatum noch eine Chance für den Frieden gesehen? Schröder: Nein, weil nicht damit zu rechnen gewesen war, dass Saddam Hussein das Land innerhalb des Ultimatums verlässt. Das ist die einzige Möglichkeit gewesen, um einen Militärschlag zu verhindern. Ein militärischer Einsatz der USA im Irak ist nicht von den Vereinten Nationen legitimiert. Grundsätzlich verbietet das Völkerrecht Angriffskriege. Ist ein Irak-Krieg ein Angriffskrieg? Schröder: Das hängt davon ab, ob sich die USA und ihre Verbündeten auf das Selbstverteidigungsrecht berufen können. Da der Sicherheitsrat einem Krieg nicht zugestimmt hat, bleibt nur das Selbstverteidigungsrecht übrig. Falls das Selbstverteidigungsrecht keine Möglichkeit geben sollte, dann bleibt das allerdings ein verbotener Angriffskrieg. Immer wieder wird die UN-Resolution 1441 angeführt. Sie sieht "ernste Konsequenzen" vor, wenn der Irak die Auflagen zur Zerstörung seiner Waffen missachtet. Sehen Sie darin eine Ermächtigung zum Krieg? Schröder: Bush hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Resolution 1441 auch die Möglichkeit einschließt, militärische Gewalt einzusetzen. Das ist eine sehr umstrittene Auffassung. Denn es spricht einiges dagegen. Was wäre das? Schröder: Eine präzise Ermächtigung zu militärischen Maßnahmen ist in der Resolution nicht enthalten. Es wird nur allgemein von ernsten Konsequenzen gesprochen. Man könnte sich auch vorstellen, dass damit gemeint ist, dass der Sicherheitsrat erneut beschließen muss. Da verläuft eben die Grenzlinie zwischen den Streitparteien. Aus diesem Grund hat ja auch die Bush-Administration auf einen zweite UN-Resolution verzichtet, weil sie weiß, dass sie nicht zustande kommen würde. Dennoch war das eine vernünftige Formulierung, um mehrere Optionen offen zu halten. Kriegsbefürworter nennen gern die Charta der UN und das Recht auf Selbstverteidigung. Inwieweit ist von US-Seite aus ein Präventiv-Krieg gerechtfertigt? Schröder: Artikel 51 verankert das Recht auf Selbstverteidigung und schließt präventive Maßnahmen ein. Das heißt, man muss nicht abwarten, bis der Gegner einen bewaffneten Angriff führt. Es reicht, wenn er damit droht. Die entscheidende Frage ist ja, ob es sich hier um eine präventive Verteidigungssituation zugunsten der USA handelt. Und hier ist ein Angriff des Irak auf die USA nicht erkennbar. Auch die Verfügbarkeit von bestimmten Waffen reicht allein nicht aus, um eine Bedrohungssituation für die USA zu begründen. Selbst die Anklage der USA, der Irak sei ins Terrornetz der El Kaida verstrickt und daraus gehe eine Bedrohungssituation hervor, ist bislang nicht belegt. Das waren bloße Behauptungen. Ohnehin sind die Ziele der Vereinigten Staaten eigentümlich diffus. So sind die Vorwürfe gegenüber Saddam Hussein zum Teil an den Haaren herbeigezogen. Einerseits wird gesagt, wir wollen den Irak entwaffnen, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten. Aber andererseits - und das scheint inzwischen im Vordergrund zu stehen - geht es darum, dem Irak eine neue politische Ordnung zu geben. Und das kann man mit dem Selbstverteidigungsrecht auf gar keinen Fall rechtfertigen. Auch wenn die Bundesregierung gegen einen Krieg im Irak ist, so könnte Deutschland doch in den Konflikt mit einbezogen sein - durch eine Beteiligung an Awacs-Aufklärungsflügen über die Türkei. Sehen Sie darin einen Verstoß gegen das Grundgesetz? Schröder: Das wird kein echtes Problem sein. Selbst wenn die Awacs-Flugzeuge mit deutschen Soldaten bestückt sind. Sie dürfen sich aber nicht an Kriegshandlungen beteiligen. Denn sie sind ja im Grunde nur zum Schutz der Türkei im Einsatz und damit in Verbindung mit Nato-Verpflichtungen. Und das bedeutet, dass sie nicht in Zusammenhang mit einem Angriffskrieg stehen. Von daher sehe ich keinen Verstoß gegen das Grundgesetz. Die USA haben mit ihrer Wahl - neue Resolution oder Krieg - den UN-Sicherheitsrat unter Druck gesetzt. Sind damit die Vereinten Nationen völkerrechtlich in Abseits gedrängt worden? Schröder: Für politisch-militärische Konflikte besteht die Gefahr, dass sie künftig am Sicherheitsrat vorbei gelöst werden und sich die USA zum Vorbild nimmt. Das heißt, wenn man das Gewünschte im Sicherheitsrat nicht erreicht, nimmt man die Sache notfalls selber in die Hand. Aber man muss bedenken: Die USA sind die einzige Supermacht, die solche Aktionen durchführen können. Heißt das, die USA setzen statt auf Konsens auf Egoismus? Schröder: Diese Entwicklung kann man unabhängig vom Irak-Konflikt beobachten. Ob das der Internationale Strafgerichtshof oder der Klimaschutz ist - wenn die internationale Staatengemeinschaft nicht auf der eigenen Linie ist, neigen die USA dazu, das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Da kann man eine Gefahr einer nicht idealen Weltordnung sehen, weil die USA sich zur Weltpolizei machen und nach ihren Interessen bestimmen, welche Situation in einer Region der Welt wie jetzt im Irak entstehen oder bestehen soll. Wer hat künftig das Gewaltmonopol, das noch bei der Uno liegt? Schröder: Von Rechts wegen ändert sich nichts, weil die UN-Charta nicht verändert wird. Aber solche Aktionen durchlöchern das Gewaltmonopol. Und das Monopol des UN-Sicherheitsrats wird in Frage gestellt. Immer mehr Staaten könnten sagen, das ist ja nicht mehr wichtig. Es ist leider keine große Stunde des Völkerrechts. Wenn man aber die Völkerrechtsentwicklung historisch betrachtet, dann ist Macht immer vor Völkerrecht gegangen. Seine Schwierigkeit ist immer gewesen, dass die mächtigen Staaten sich nicht vom Völkerrecht abbringen lassen. Da muss man auch mit Blick auf die Zukunft skeptisch sein. S Mit Meinhard Schröder sprach Sabine Schwadorf.

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