"Man ist so alt, wie man sich fühlt"

BERLIN. Bundeskanzler Gerhard Schröder wird am Mittwoch, 7. April, 60 - richtig gefeiert wird jedoch erst mit Weggefährten, Verwandten und Freunden am 16. April.

Gut möglich, dass der Kanzler sich morgen in seinem toskanischen Urlaubs-Badezimmer kritisch beäugt. Geburtstage solcher Kategorie zwingen auch hart gesottene Typen, einen Moment lang inne zu halten. Morgen wird Gerhard Schröder 60 Jahre alt. Er ist in seinem Lieblingsland Italien, dem er im vergangenen Sommer noch einen spektakulären Urlaubs-Korb gegeben hatte. Damals ein Politikum, heute nur noch eine Anekdote. Wäre es nach Schröders tatsächlicher Befindlichkeit gegangen, wäre er seinerzeit trotzdem an die Adria gefahren. Doch Schröder ist Regierungschef, und für den gelten andere Regeln. Obwohl er wahrlich nicht dumm ist, brauchte er eine Weile, bis er das kapiert hatte. Beim Start im Herbst 1998 war er jedenfalls noch nicht so weit: Freudetrunken zelebrierte er damals seine private Glückseligkeit, tauchte in edle Brioni-Zwirne und blies öffentlich teuren Havanna-Qualm in die Luft. Er hatte einfach "Spaß" an seinem Job, den er so energisch angestrebt hatte. Bundeskanzler! Das ist mehr, als er sich jemals erträumt hätte. In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, war dem kleinen Gerhard Fritz Kurt eigentlich keine große Zukunft beschieden. Vater gefallen, Mutter Putzfrau, noch vier Geschwister, hinterdörflerische Perspektiven im ostwestfälischen Lipperland. Eiserne Disziplin führte ihn nach oben: mittlere Reife, Abendschule, Studium - und SPD. Die Partei der kleinen Leute war es, die ihm den Aufstieg in den politischen Olymp ermöglichte. Und weil sich seine Intelligenz recht trefflich mit dem Ehrgeiz paarte, schaffte er es in den Juso-Vorsitz, in den Bundestag, in die niedersächsische Staatskanzlei, ins Kanzleramt. Dort, auf seiner vermutlich letzten Station, ist er auch vom charmanten Rabauken zum ernsthaften Staatsmann gereift. Die äußeren Umstände zwangen ihn dazu. Kaum im Amt, schmiss ihm der Rivale Oskar Lafontaine den Krempel vor die Füße, stürzte jäh sein "bester Mann" (Bodo Hombach), musste der gelernte Pazifist Schröder als erster Bundeskanzler deutsche Soldaten in Kriegsgebiete auf den Balkan schicken. Wie dem auch sei, Schröder packte es. Selbst als niemand mehr einen Pfifferling auf ihn und seine rot-grüne Nachbesserungs-Truppe gab, drehte er 2002 mit einer ungeheuren Energieleistung den Spieß um und brachte dem lange führenden Unions-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber die nicht mehr erwartete Niederlage bei. Seit dieser Zeit, als er dem amerikanischen Krieger George W. Bush die Stirn bot, genießt Gerhard Schröder auch international Respekt und Anerkennung. Im Wissen um seine neue Bedeutung und in Kenntnis der sozialpolitischen Ausweglosigkeit der Republik traute er sich Anfang des Jahres 2003 denn auch, den steinigen Weg der "Agenda 2010" zu gehen. Natürlich wusste er, dass es schwer werden würde, doch dass der Reformeifer, der ihn plötzlich beseelte, zum Ausgangspunkt des Projekts "Zertrümmerung der SPD" werden würde, hat er denn doch nicht gedacht. Immerhin zog er die Konsequenzen und legte den Parteivorsitz nieder, "schweren Herzens" angeblich. Jetzt fühlt er sich erleichtert, sagen Leute, die ihm nahe stehen. "Man ist so alt, wie man sich fühlt", meinte er vergangene Woche zu einer Gruppe Kinder. Er jedenfalls fühle sich nicht wie 60. Auf jeden Fall kenne er seine Grenzen, sagte er dem Fernsehsender "arte", und "zu gegebener Zeit" werde er verkünden, wann es genug ist mit der "Bundeskanzlerei". Fraglich bleibt allerdings, ob ihm die Wähler die Entscheidung nicht aus der Hand nehmen, und ihn bereits früher in Rente schicken. Doch davon will er nichts wissen, darüber wird allenfalls stiekum geredet, wenn er mit seinem engsten Zirkel berät, wie die wichtige Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen (2005) gewonnen werden könnte.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort