"Man kann sich nicht selbst politisch kastrieren"

Sechs Jahre war er Vorsitzender, im Herbst tritt er ab: Grünen-Chef Reinhard Bütikofer. Im TV-Interview äußert er sich zur Zukunft seiner Partei, zu Avancen der CDU und einem Bündnis mit den Linken.

Trier. (wie) Keine Regierung mit den Linken in Berlin, bei der Wahl des Bundespräsidenten sind sie aber nicht tabu: Grünen-Chef Reinhard Bütikofer äußert sich im Interview mit TV-Redakteur Bernd Wientjes. Um Ihre Nachfolge als Partei-Chef ist ein Machtkampf entbrannt. Der Europaabgeordnete Cem Özdemir und der Berliner Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann wollen Sie beerben. Bütikofer: Das ist doch kein Machtkampf, wenn es mal mehr als einen Bewerber um einen Parteiposten gibt. Es gibt auch keinen Richtungsstreit. Trotzdem hat man den Eindruck, dass mit dem Abgang von Joschka Fischer den Grünen das Zugpferd abhanden gekommen ist. Bütikofer: Nun ja, Fischer ist seit drei Jahren nicht mehr aktiv in der grünen Politik, aber wir haben durchaus gute Wahlergebnisse, zuletzt bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein. Also kein Grund für Nostalgie.Ärgert es Sie eigentlich, dass ur-grüne Themen wie Klimaschutz mittlerweile mehr mit der Bundeskanzlerin in Verbindung gebracht werden als mit Ihrer Partei? Bütikofer: Tatsache ist aber doch, dass Frau Merkel 2008 keines der ökologischen Versprechen einlöst, die sie 2007 mit viel internationaler Resonanz gegeben hat. Die Bürger sehen das realistisch: Die Hälfte der Deutschen traut den Grünen noch immer das Meiste in Sachen Klimaschutz zu. Wie können die hohen Strompreise gesenkt werden? Bütikofer: Die Macht der Konzerne muss zerschlagen werden, genau wie es die EU-Kommission vorgeschlagen hat: Stromproduktion und Netzbetrieb müssen voneinander getrennt werden, um echten Wettbewerb zu schaffen. Beim Gas gibt es faktisch gar keinen Wettbewerb, die Verbraucher sind abhängig von ihrem Versorger. Ich freue mich jedenfalls nicht, dass eine heizbare Wohnung für viele nicht bezahlbar ist. Ihre Partei hat aber noch vor einigen Jahren gefordert: Energie muss teurer werden, Stichwort: Fünf Mark fürs Benzin.Bütikofer: Aus dieser Debatte haben wir ja gelernt. Das soziale und das ökologische Ziel dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es gibt aber ein Mittel gegen höhere Spritpreise: Die Autos müssen weniger verbrauchen. Ihre Botschaften scheinen aber nicht so anzukommen. In der Wählergunst stehen die Linken eindeutig höher als Ihre Partei. Bütikofer: Bei der Bundestagswahl 2005 hatten wir acht Prozent, gegenwärtig liegen wir bei elf Prozent. Mich beeindruckt nicht, wie die Linke unter ihrem Frontmann Lafontaine jede Menge populistischen Quark verzapft. Unrealistische Politik macht niemanden satt.Also eine rot-rot-grüne Bundesregierung im nächsten Jahr halten Sie für ausgeschlossen?Bütikofer: Ja.Und wie sieht es bei der Wahl des Bundespräsidenten aus? Bütikofer: Wir werden uns entscheiden, ob wir die SPD-Kandidatin Gesine Schwan unterstützen oder nicht. Wir lassen uns dabei aber nicht davon beeinflussen, wie die Linkspartei taktiert. Man kann sich ja nicht selbst politisch kastrieren.Die Grünen gelten ja mittlerweile auch bei der Union als regierungsfähig, siehe Hamburg. Bütikofer: Es ist immer schön, umworben zu sein. Aber dann sollte es der Brautwerber auch ernst meinen. Eine Union, die schönredet, aber genau das Gegenteil von dem vertritt, was wir für richtig halten, bietet sich nicht als Partner an. Der derzeitige Zustand der SPD spricht auch nicht für eine Neuauflage von Rot-Grün in Berlin.Bütikofer: Abgerechnet wird im nächsten Jahr. Da wollen wir so stark werden, dass man schwer an uns vorbeikommt. Mir ist nicht egal, was mit der SPD passiert. Aber wir kämpfen für unseren eigenständigen Erfolg und werden dann sehen, was geht. Zur person Reinhard Bütikofer (Foto: dpa) wurde 1953 geboren und ist Vater von drei Kindern. Seit 2002 ist er Bundesvorsitzender der Grünen. Im Herbst tritt er freiwillig zurück. Er will sich um die Kandidatur zum Europaparlament bewerben.

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