"Manche Bilder vergisst man nie"

TRIER. Tod und Trauer - damit kommt ein Rettungssanitäter in Berührung, wenn er nicht helfen konnte. Solche Erlebnisse graben sich unauslöschlich ins Gedächtnis ein. Knapp die Hälfte der Sanitäter arbeitet in ländlichen Gegenden ehrenamtlich. Einer von ihnen ist der Rechtsanwalt Christoph Pitsch.

"Es gibt Bilder, die vergisst man nicht", sagt Christoph Pitsch. Der junge Mann, der unter der Woche tagsüber als Rechtsanwalt in einem großen und bequemen schwarzen Chefsessel sitzt und von seinem Platz am Schreibtisch auf ein farbenprächtiges Ölgemälde mit bunten Segelschiffen blickt, zieht sich abends und an den Wochenenden die rot-weiße Kluft an, sieht Verletzte, Kranke, Sterbende: Er arbeitet ehrenamtlich als Rettungssanitäter. "Nebenberuflich ist eigentlich der richtige Terminus", sagt der Jurist. Ein kleines Entgelt bekomme er ja für die zwölf Stunden pro Woche, die er auf der Rettungswache in Welschbillig und im Rettungswagen zubringt. Das tut er nun schon seit sieben Jahren. Nach seinem Zivildienst, in dem er Ausbilder für Erste-Hilfe-Kurse war, wollte er in den Rettungsdienst. Christoph Pitsch absolvierte die 520 Stunden Ausbildung zum Rettungssanitäter neben dem Studium. Seit 1996 leistet bei den Patienten die erste und oft entscheidende Hilfe. "Man muss regelmäßig arbeiten, sonst lassen die praktischen Fähigkeiten nach", weiß Pitsch. Der Notarzt treffe oft erst später bei den Patienten ein als der Krankenwagen. Verkehrsunfälle machen nur etwa fünf, chirurgische Notfälle nur zehn Prozent der Einsätze aus. "Alle anderen sind internistische Notfälle: Schlaganfälle, Herzinfarkte, Krebspatienten im Endstadium, die kollabieren, die Schmerzen haben und ihren Angehörigen Sorge bereiten." Auch Altersbeschwerden nehmen als Ursache zu. "Es gibt Patienten, zu denen fährt man ein paar Mal pro Jahr", erzählt Pitsch. Richtige "Stammkunden" seien das, zumal man auf dem Land ohnehin viele der Menschen kenne, zu denen man gerufen werde. Man könne den körperlichen Verfall solcher Patienten wirklich beobachten. "Und irgendwann kann man dann nicht mehr helfen, irgendwann ist die Grenze erreicht, irgendwann stirbt der alte Mensch." Solche Situationen, so Pitsch, seien die schwierigsten. Was sagt der Verstand, was schreibt der Berufs-Ehrenkodex vor, der für Sanitäter nicht so genau definiert sei wie beispielsweise für Ärzte? Und was sagt das Herz? Hat es einen Sinn, einen alten Menschen wiederzubeleben, ihn dafür aus seinem Bett zu reißen, in dem er normalerweise friedlich sterben würde, weil seine Zeit nun einmal gekommen ist? Ist es nötig und richtig, ihn auf eine Trage zu legen, ihn durch die Kälte in den Krankenwagen zu bringen, ihn mit lautem Sirenenklang ins Krankenhaus zu fahren, nur, damit er einen Tag später dort stirbt anstatt im Kreise seiner Lieben? "In solchen Fällen", sagt Pitsch nachdenklich, "muss man sich manchmal die Freiheit nehmen und sagen: Hier ist ein 90-Jähriger mit Herzstillstand und einer langen, komplizierten Krankengeschichte. Dieser Mann liegt im Sterben, es hat keinen Sinn, sämtliche reanimierende Maßnahmen einzuleiten, die wir kennen, wenn es nur sein Leiden verlängert." Da sei es wichtig, mit den Pflegern zu sprechen, die Krankengeschichte schnell zu erfassen. "Ein Hospizhaus wäre darum eigentlich ideal", sagt Pitsch. Hier könnten die Kranken bis zum Ende betreut werden und in Frieden, aber medizinisch in guten Händen, sterben. "Gedanken über das Erlebte macht man sich als Rettungssanitäter ständig", sagt Pitsch. Man erlebe viel Leid, verzweifelte Angehörige. Auch Selbsttötungen oder Suizidversuche seien schlimm. Sehr wichtig sei darum das Gespräch mit den Kollegen, um es verarbeiten zu können. Eine Unfallstelle, an der ein Mensch gestorben sei, vergesse man nie. "Immer, wenn ich daran vorbeifahre, denke ich an den Patienten, den wir nicht retten konnten." Aber die guten Momente, sagt Christoph Pitsch, überwiegen. Wenn man den Menschen die Angst nehmen könne. "Und jeder Mensch, dem ich helfen konnte, jedes kleine Lächeln nach einem überstandenen Asthma-Anfall oder einer anderen lebensgefährlichen Situation ist für mich Lohn genug."

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