Mehr Honorar statt Hula-Hopp

TRIER. Die Ärzte wollen solange protestieren, bis die Politik das umstrittene Arzneimittelsparpaket kippt und die Kassen mehr Honorar zahlen. Einigen Patienten geht der Streik zu weit.

Heike Kolz aus Longkamp (Kreis Bernkastel-Wittlich) denkt noch mit Schrecken an den Ärzteprotest vor einem Monat. Verzweifelt suchte sie einen Arzt, der ihre beiden Mädchen, ein und vier Jahre - die Ältere mit 40 Grad Fieber, die Kleine mit schlimmem Husten -, behandelt. Ihr Kinderarzt hatte in der Woche vor Fastnacht Urlaub, der nächstgelegene hatte aus Protest seine Praxis dicht, in der Vertretungspraxis sagte ihr die Arzthelferin am Telefon, dass sie zwar mit der Großen vorbeikommen könne, die Kleine werde aber nicht behandelt, das wäre kein akuter Notfall. "Wie kann das eine Sprechstundenhilfe am Telefon beurteilen", ärgert sich die Mutter. In der Kinderambulanz des Krankenhauses sollte sie erst nach 17 Uhr einen Termin bekommen. "Wir hatten 14 Uhr, und mein Kind hatte 40 Fieber." Erst die Hausärztin der Familie behandelte die kranken Kinder. Noch immer ist Heike Kolz außer sich: "Wo sind wir angekommen, wenn man mit zwei kranken Kindern vier Stunden von Praxis zu Praxis fahren muss, um behandelt zu werden? Armes Deutschland." "Wenn einige Praxen für immer geschlossen sind, weil die Ärzte pleite sind, dann stehen die Leute dauerhaft vor geschlossenen Türen", erklärt Martin Dieudonné, Sprecher des Ärzteverbandes "Medi", der die Proteste mit organisiert. Man gehe aber nicht aus Eigennutz (sprich: wegen der für viele Ärzte existenzbedrohenden Honorareinbußen) auf die Straße, sondern vor allem für die Patienten, wirbt der Trierer Arzt um Verständnis für die anhaltenden Proteste. Doch selbst unter Ärzten scheint die zeitweise Schließung von Praxen nicht ganz unumstritten zu sein. "Medi" ließ daher die Rechtslage durch einen Kölner Anwalt für Medizinrecht prüfen. Der kam zu dem Schluss, dass die "Zulassung von Ärztestreiks im hohen Maße umstritten" sei, wobei allerdings "die besseren Gründe dafür sprechen, eine derartige kollektive Meinungsäußerung" zuzulassen. Es gibt noch Einsparmöglichkeiten

Zwar steht derzeit noch die breite Ärzteschaft hinter den Protesten, noch nie war die Geschlossenheit der verschiedenen Berufsgruppen so groß wie derzeit, und erstmals sind die Mediziner politisiert, doch die Stimmen, die nach dem Ziel der Proteste fragen, häufen sich: "Soll man sich noch einmal gegen ein aus guten Gründen ungeliebtes Spargesetz stemmen, dessen Verabschiedung im Bundestag nur noch reine Formsache ist", fragte dieser Tage die Ärztezeitung. Denn dass das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) mit der Bonus-Malus-Regelung, wonach Ärzte für kostengünstige Verschreibungen belohnt und andernfalls mit Honorarabzug bestraft werden sollen, noch gestoppt werden kann, daran glaubt auch unter den Ärzten niemand ernsthaft. Zwar hatte der Bundesrat vor einer Woche sein Veto - auch mit dem Nein aus Rheinland-Pfalz - eingelegt. Doch das Gesetz ist nicht zustimmungspflichtig, der Bundestag kann es ohne Zustimmung der Länder verabschieden. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hatte sich in einem offenen Brief an die niedergelassenen Ärzte gewandt. Mit dem neuen Gesetz solle nicht die ärztliche Kompetenz eingeschränkt werden, sondern dem Anstieg der Arzneimittelausgaben von 3,3 Milliarden Euro 2005 entgegengewirkt werden. Es sei nicht vertretbar, dass Versichertengelder unwirtschaftlich eingesetzt und für Leistungen ausgegeben würden, "die in gleicher Qualität auch günstiger zu haben sind", schrieb Schmidt. Allein in Rheinland-Pfalz sind die Arzneimittelausgaben im Januar um 13,3 Prozent gestiegen, teilte die Techniker Krankenkasse (TK) mit. "Damit haben alle Reformen und Gesetze das Ziel verfehlt, die Ausgaben für Arzneimittel zu reduzieren", sagt Anneliese Bodemar, Leiterin der TK-Landesvertretung. Norbert Dixius, Bezirksgeschäftsführer der Barmer Ersatzkasse, glaubt, dass noch nicht alle Einsparmöglichkeiten ausgeschöpft sind und es daher nicht zu der umstrittenen Malus-Bonus-Regelung kommen wird. Dass noch Luft für Einsparungen da sei, glauben auch die Ärzte, allerdings bei den Kassen. "Statt unsinnige Hula-Hopp-Kurse zu bezahlen, sollten die Kassen das Geld lieber an uns zahlen", fordert Dieudonné. Die Krankenkassen müssten endlich den vereinbarten Punktwert für ärztliche Leistungen von 5,11 Cent bezahlen. Dieser werde weit unterschritten, so der Trierer Ärztefunktionär. Ohne die nun von der Landesregierung zugesagte Soforthilfe von drei Millionen Euro zur Stützung des Honorarrückganges sähe es für viele Ärzte noch düsterer aus, sie müssten über kurz oder lang ihre Praxen dicht machen - für immer. "Wir werden solange protestieren, bis die Politik einsieht, dass es so nicht weitergeht."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort