"Mehr Wirkung als erwartet"

BERLIN. Rund 100 Tage nach Inkrafttreten der Gesundheitsreform hat sich der öffentliche Proteststurm gegen Praxisgebühr und Leistungskürzungen weitgehend gelegt. Ulla Schmidt (SPD) ist darüber sichtlich erleichtert.

Empörte Zuschriften und provokante Schlagzeilen ("Frau Ministerin, sie machen uns krank") hatten kräftig am Nervenkostüm der Gesundheitsministerin gezerrt. Bevor sich die Rheinländerin zum Osterurlaub nach Spanien aufmachte, zog sie eine positive erste Bilanz des Gesetzes. Die Reform zeige "mehr Steuerung als erwartet", sagte Schmidt in Berlin. Für rund 25 Millionen Versicherte hätten sich bereits die Beiträge verringert. Zum 1. Mai kämen nochmals zwei Millionen hinzu. Ein Tropfen auf den heißen Stein

Nach ihrer Prognose können zum Ende des ersten Halbjahres insgesamt 38 Prozent der 70 Millionen Versicherten mit Beitragssenkungen rechnen. Gemessen an den privaten Zusatzkosten dürfte diese Nachricht für viele Patienten allerdings kaum mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein sein. Nach den ersten drei Monaten ging der durchschnittliche Beitragssatz lediglich um 0,12 Prozent auf 14,2 Prozent zurück. Einige Betriebskrankenkassen mussten in diesem Zeitraum ihren Beitragssatz sogar erhöhen. So rücken die von Schmidt ursprünglich für das Jahresende prognostizierten 13,6 Prozent wohl in weitere Ferne. Die Ministerin selbst spricht inzwischen von "deutlich unter 14 Prozent" als Ziel. Bei der Häufigkeit der Arztbesuche zeigt die Reform dagegen schon jetzt spürbare Wirkung. Im Januar sei die Zahl der Arztkontakte um bis zu acht Prozent gesunken, so Schmidt. Im Februar waren es bis zu vier Prozent. Ein Teil des Rückgangs dürfte sicher aus den verstärkten Arztbesuchen zum Ende des Vorjahres resultierten. Laut Schmidt sind jedoch die Arzneikosten "mehr als nur um den Vorzieheffekt zurück gegangen". Für das erste Quartal könne mit einem absoluten Rückgang von über einer Milliarde Euro gerechnet werden. Allein im Januar und Februar gaben die Kassen für Pillen und Salben rund 900 Millionen Euro weniger aus als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Als Erfolg wertete Schmidt auch den wachsenden Kassenwettbewerb bei Bonusprogrammen. Für Versicherte, die an einer Hausarzt-zentrierten Versorgung oder an speziellen Behandlungsprogrammen bei chronischen Erkrankungen teilnehmen, können die Kassen die Zuzahlungen ermäßigen. Darüber hinaus sind Selbstbehalte und Beitragsrückzahlungen möglich. Als Beispiel nannte die SPD-Politikerin die Techniker-Krankenkasse, die verschiedene Bonussysteme und einen Tarif mit Beitragserstattung für freiwillig versicherte Mitglieder anbietet. Im Februar seien insgesamt 214 000 Versicherte in qualitätsgesicherten Behandlungsprogrammen für Brustkrebs und Diabetis mellitus Typ 2 registriert gewesen. Die lange umstrittene Richtlinie zur Erstattung rezeptfreier Medikamente trat erst in diesem Monat in Kraft. Neben 40 Wirkstoffen aus der Schulmedizin wurden dabei vier pflanzliche Arzneimittel (beispielsweise Johanniskraut zur Behandlung mittelschwerer Depressionen) aufgelistet. In bestimmten Fällen ist auch die Verordnung von homöopathischen Mitteln möglich. Schmidt betonte, dass die Richtlinien regelmäßig an neue medizinische Kenntnisse angepasst würden. Weitere Auswirkungen der Reform werden sich erst in den kommenden beiden Jahren bemerkbar machen. Ab 2005 muss die Versicherung für Zahnersatz privat getragen werden. Die Mehrbelastung bezifferte Schmidt auf etwa sieben Euro pro Monat. Im Jahr darauf sollen die Versicherten eine elektronische Gesundheitskarte erhalten. Nach Einschätzung der Ministerin handelt es sich um das "weltweit größte Projekt" zur Datenvernetzung. Allein durch das elektronisch erstellte Rezept ließen sich künftig bis zu einer Milliarde Euro sparen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort