Merkel gibt sich ungeschminkt

"Ganz erhebliche Lücken": CDU-Gremien teilen Einschätzung ihrer Chefin über parteiinterne Defizite

Während die Regierung bei der jüngsten Kabinettsklausur ihr schlechtes Erscheinungsbild mit Optimismus und Selbstbeschwörung zu übertünchen suchte, übt sich die in der Wählergunst scheinbar glänzend da stehende Opposition in Selbstkritik. Die Leute fragten sich, ob die Union eine wirkliche Alternative sei, sinnierte CDU-Chefin Angela Merkel in einem Interview und gab die ungeschminkte Antwort: "Es mangelt an Vertrauen in eine wirkliche Alternative." In den gestrigen Gremiensitzungen der Partei wurde diese Einschätzung geteilt. Da sei noch "eine ganz erhebliche Lücke zu schließen", meinte ein Präsidiumsmitglied. Bei der aktuellen "Sonntagsfrage" kommen CDU und CSU zwar auf stolze 45 Prozent. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.Unzufriedene flüchten ins Lager der Nichtwähler

Aktuellen Umfragen zufolge zeigen sich 68 Prozent der Bevölkerung mit der Oppositionsarbeit unzufrieden. Angela Merkel gegenüber dem Vormonat drei Punkte auf der Sympathieskala ein. Ihre Rivale, Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, sackte gar um fünf Prozent ab. Wer mit Rot-Grün hadert, läuft also noch lange nicht mit wehenden Fahnen zur Union. Statt dessen flüchten sich viele Bürger ins Lager der Nichtwähler. Ein Grund mag darin liegen, dass es mit der innerparteilichen Geschlossenheit in der Union auch nicht sonderlich weit her ist. Ein besonders heißes Eisen ist die Gesundheitspolitik. Auf dem Leipziger CDU-Parteitag 2003 wurde ein radikaler Umbau der Krankenversicherung beschlossen. Geplant ist die Umstellung der Beiträge auf einkommensunabhängige Kopfpauschalen ("Gesundheitsprämien") sowie ein Ausgleich für einkommensschwache Bürger aus Steuermitteln. Nicht nur in der bayerischen Schwesterpartei CSU schrillten die Alarmglocken, weil man um die soziale Gerechtigkeit fürchtete. Auch in der CDU selbst gibt es inzwischen gewichtige Stimmen, die den von Merkel favorisierten Plan für undurchführbar halten. Merkel will trotzdem an ihrem Modell fest halten. In der Vorstandssitzung habe man dazu eine "sehr freundschaftliche Diskussion" geführt, beschied Merkel. Am Donnerstag will Regierungsberater Bert Rürup einen Vorschlag präsentieren, der die Kopfpauschale mit Elementen der von Rot-Grün verfochtenen Bürgerversicherung verbindet. Neben dem Einheitsbetrag soll zusätzlich ein geringer Prozentanteil des Lohns in die Krankenversicherung fließen. Merkel will sich diese Idee "anschauen". Am Wochenende hatte sie noch kategorisch erklärt, es werde "keine Mischform" der beiden Modelle für die Union geben. Nach den Worten der CDU-Chefin soll nun bis Jahresende endgültig Klarheit herrschen.

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