Merkel und das Stöckchen

Einfach so weitermachen wie bisher in der Großen Koalition? Davon wird sich Bundeskanzlerin Angela Merkel verabschieden müssen. Der TV zeigt, warum.



Berlin. Die Frage war Angela Merkel nicht ganz geheuer. Ob sie denn als Kanzlerin in einem schwarz-gelben Bündnis genauso agieren werde wie in der Großen Koalition, wollte in dieser Woche ein Journalist von ihr wissen. Prompt schaute Merkel erst einmal so, wie sie nun mal schaut, wenn sie erstaunt ist - Mundwinkel nach unten. Und dann beschäftigte sie sich tatsächlich mit ihrem Regierungsstil: "Sie werden mich so kennenlernen, wie ich bin", lautete ihre Ankündigung. Wirklich?

"Sie hatten das Vergnügen ja schon einige Jahre", fuhr sie fort. Stimmt, und in dieser Zeit hat sich das Image verfestigt, sie sei zögerlich, entscheide absichtlich spät, um Erfolge für sich einzuheimsen und für Misserfolge nicht verantwortlich gemacht zu werden. Kurzum, sie moderiere zu viel. "Ich sehe mich da immer mit so einem Stöckchen", zeigte sich Merkel verwundert. "Das war harte Arbeit", lautete ihr ernster Nachsatz. Mit Sicherheit. Aber Merkel wird in dem neuen Bündnis mit der FDP ihren Stil ändern müssen, glaubt der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin: In der Großen Koalition habe sie sich rollenkonform verhalten. "Eine Kanzlerin, die zwei Partner auf Augenhöhe hat, muss moderieren, da kann sie nicht die Parteivorsitzende geben", so Niedermayer zu unserer Zeitung. "Jetzt muss sie deutlich die Interessen ihrer Partei wahren und durchsetzen. Und sie kann nur noch die Kompromisse eingehen, die der Union nicht dramatisch schaden." Ansonsten werde sich der langsame Prozess des Identitätsverlustes der Konservativen als Volkspartei beschleunigen, warnt der Experte.

Merkel sieht dies offenbar auch so. Dafür spricht jedenfalls, dass sie im Laufe der Woche damit begann, sich deutlicher als bisher zu positionieren: "Bei den Mindestlöhnen nehme ich nichts zurück." Und: "Ich sage Ihnen auch, dass die Grundstruktur des Gesundheitsfonds nicht angetastet wird", verkündete sie in Richtung FDP. Merkel ist inzwischen erfahren genug, um zu wissen, wie man reagieren muss, wenn sich die Politik neu sortiert und man dabei Oberwasser behalten will - man meldet sich möglichst zuerst. Noch am Wahlabend hatte sie daher erklärt, dass sie Kanzlerin aller Deutschen sein wolle. Das klang präsidial, war aber ein Signal an die Bürger, die sich vor Schwarz-Gelb fürchteten. Und es war eine weitere klare Botschaft an jene vor allem bei den Liberalen, die nach dem Wahlsonntag von einer Renaissance des Marktradikalen träumen. Davon gibt es genügend.

Und auch wegen der neuen Gefechtslage mit einer ramponierten CSU wird es eine andere Merkel geben müssen. Eine, die mehr Wert auf Profil legt, die mit dem Stöckchen mal auf den Tisch haut, die häufiger die Richtung weist, um nicht selber zwischen den Parteiflügeln zerrieben und am Koalitionstisch vorgeführt zu werden. Friedliche Zeiten stehen Merkel nicht bevor, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

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