"Merkels Kanzlerkandidatur ist gefährdet"

BERLIN. Wie kann der Krach in der Union beendet werden, und wie wirkt er sich aus? Darüber sprachen wir mit dem Parteienforscher Peter Lösche.

Herr Professor Lösche, was passiert gegenwärtig in der Union? Werden wir Augenzeuge eines historischen Zerwürfnisses? Lösche: Nein, solche Konflikte hat es schon immer gegeben, und die sind zum Teil unabhängig von den beteiligten Personen. Es sind strukturell bedingte Konflikte. Zum einen geht es um die Auseinandersetzung zwischen CDU und CSU. Und zwischen den Vorsitzenden Angela Merkel und EdmundStoiber. Lösche: Ja, aber das ist nichts Neues. Der Streit zwischen Kohl und Strauß war mindestens so heftig wie der jetzige zwischen Merkel und Stoiber. Hinzu kommt zweitens, dass in beiden Parteien eine Vielfalt von Interessen vorhanden ist, die zum Teil innerhalb der Parteien organisiert sind. Da gibt es auf der einen Seite die Sozialausschüsse, auf der anderen Seite den Wirtschaftsrat und die Mittelstandsvereinigung. Daraus resultieren eklatante Differenzen. Drittens ist die CDU im Gegensatz zur CSU eine föderal organisierte Partei, deren Landesvorsitzende, zumal wenn sie Ministerpräsidenten sind, ungeheuere Machtpositionen haben und sogar potenzielle Kanzlerkandidaten sind. Das heißt, es geht beim Streit um die Gesundheitsreform weniger um die Sache, als vielmehr um den Kurs der Union. Es geht darum, wer den Kurs bestimmt, also um die Machtfrage? Lösche: Natürlich. Erschwert wird diese Frage durch die Tatsache, dass Rot-Grün jetzt den Reformkurs eingeschlagen hat, den die Union in ihrer Regierungszeit bereits hätte einschlagen müssen. Damit nehmen SPD und Grüne der Union die Themen weg. Das bedeutet für CDU und CSU, dass sie sich an den Seiten profilieren müssen. Das versucht Angela Merkel, indem sie neoliberale Positionen vertritt. Dadurch kommt Teilen ihrer eigenen Partei und eben der CSU ins Gehege. Wer hat denn Ihrer Ansicht nach Recht in der Sache: die CDU mit ihrem Systemwechsel oder die CSU mit ihrem traditionellen Konzept? Lösche: Man kann das nicht klar sagen. Es gibt einfach zwei Optionen. Reformen im System, was ja auch Rot-grün mit der Bürgerversicherung anstrebt, oder den radikalen Systemwechsel der CDU. Das lässt sich nicht nach den Kategorien falsch oder richtig beurteilen, sondern man muss fragen: Was ist vernünftiger, was lässt sich politisch besser durchsetzen? Wie lässt sich die Verknotung denn auflösen? Mit Geduld und Nervenstärke oder mit einem Befreiungsschlag? Lösche: Nur mit Geduld, Nervenstärke, intensiven Gesprächen und Verhandlungen. Wie reagiert die Bevölkerung auf solch elementare Konflikte? Straft sie die Streithähne ab und beendet den Höhenflug der Union? Lösche: Der Höhenflug ist bereits beendet. Aber das bahnte sich sowieso an, als in der Öffentlichkeit klar wurde, dass CDU und CSU an der Reformpolitik der Regierung verantwortlich beteiligt sind. Hinzu kommt, dass die Union sich inhaltlich nicht profiliert hat, sondern völlig zerstritten dasteht - während gleichzeitig Rot-Grün nach einer Phase der Kakophonie eigenes Profil gewonnen hat. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die Stellung der CDU-Vorsitzenden? Ist Merkels Kanzlerkandidatur, die ja bereits als nahezu sicher galt, gefährdet? Lösche: Die Kanzlerkandidatur ist immer solange gefährdet, wie nicht eine Person nominiert ist. Vor einem halben Jahr stand Frau Merkel praktisch schon fest, heute ist das wieder offen. Das heißt, in der Wechselwirkung nutzt das Theater in den Unionsparteien dem Kanzler und seiner Koalition? Lösche: Im Moment ja, auch weil der Kanzler Kurs hält. Außerdem profitiert er von der Entwicklung, dass die Reformbereitschaft in der Bevölkerung allmählich größer wird. Selbst der Bundespräsident hilft mit, das Klima zu verändern. Manchmal sieht es ja aus, als spielten sich Schröder und Köhler die Doppelpässe zu, und nicht Köhler und jene, die ihn gekürt haben. Was bedeutet das für die kommenden Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, wo es ja stark nach Wechsel roch? Lösche: Die sind wieder absolut offen, ebenso wie die Bundestagswahl 2006. S Mit Peter Lösche sprach unser Korrespondent Bernard Bernarding.

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