"Mich fasziniert die neue Aufgabe"

Berlin · Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat von den Jobcentern mehr Anstrengungen bei der Vermittlung von Alleinerziehenden verlangt: „Ohne familienfreundliche Arbeitsangebote und eine gute Kinderbetreuung können diese Frauen trotz guter Ausbildung keine Arbeit annehmen. Hier müssen die Jobcenter aktiver werden“, sagte Von der Leyen im TV-Interview.

Im Gespräch mit unserem Berliner Korrespondenten Stefan Vetter erläutert die frühere Familienministerin und neue Bundesarbeitsministerin ihre Vorhaben für das kommende Jahr.

Frau von der Leyen, eigentlich wären Sie gern Gesundheitsministerin geworden. Haben Sie die Enttäuschung schon verkraftet?

Von der Leyen: Ich bin gelernte Ärztin, dann war ich sehr gerne Familienministerin, jetzt fasziniert mich die neue Aufgabe, in die ich viele hilfreiche Erfahrungen auch aus der Zeit als Sozialministerin in Niedersachsen mitnehme.

Als Familienministerin haben Sie das Elterngeld zu Ihrem Markenzeichen gemacht. Schwebt Ihnen im neuen Job ein Projekt in vergleichbarer Dimension vor?

Von der Leyen: Schwerpunkte meiner künftigen Arbeit werden sicher der entschlossene Kampf gegen Kinderarmut und bessere Aufstiegschancen für Menschen in jedem Lebensalter sein. Ich halte es für enorm wichtig, dass wir in einer Gesellschaft das Gefühl wachhalten: Ich kann mein Leben selbst positiv gestalten.
Geht es etwas konkreter?

Von der Leyen: Stichwort Kinderarmut. Die hat ganz unterschiedliche Gesichter. Das Grundübel ist aber die Arbeitslosigkeit der Eltern. Das trifft besonders auf Alleinerziehende zu. Ohne familienfreundliche Arbeitsangebote und eine gute Kinderbetreuung können diese Frauen trotz guter Ausbildung keine Arbeit annehmen. Hier müssen die Jobcenter aktiver werden. Wenn eine Alleinerziehende wegen eines Jobs kommt, dann muss dort ganz selbstverständlich die Kinderbetreuung mitgedacht werden. Kommunen können auch Tagesmütter anstellen. Das braucht keine zusätzlichen Gesetze.

Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?

Von der Leyen: Eine weitere Problemgruppe sind die Kinder von Migranten. Es ist wichtig, dass sie die Erfahrung machen, dass es immer besser ist, von eigener Arbeit zu leben als vom Staat. Dafür fehlen zu häufig die Vorbilder. Hinzu kommen kinderreiche Familien, die ein ordentliches Auskommen haben müssen, damit sie die Kinder genügend fördern können.

Manches davon ließe sich mit einer Ausweitung von Mindestlöhnen regeln. Aber hier sperrt sich die FDP.

Von der Leyen: Wir sind uns mit der FDP in einem Punkt völlig einig, nämlich, dass wir die Tarifpartner stärken wollen. Wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einer Branche auf existenzsichernde Lohnuntergrenzen einigen und einstimmig die Bitte an die Politik herantragen, diese Übereinkunft für allgemeinverbindlich zu erklären, dann wird das nicht an mir scheitern. Gerade erst haben wir eine entsprechende Lösung für die Abfallwirtschaft auf den Weg gebracht.

Vor der Tür stehen auch der Pflegebereich und die Leiharbeitsbranche.

Von der Leyen: Im Pflegebereich steht man ganz am Anfang. Wie in der Leiharbeit gibt es keine Einigkeit über einen Mindestlohn. Deshalb gibt es hier einstweilen auch keinen politischen Handlungsbedarf.

In den Jobcentern droht Chaos, weil für die von Karlsruhe beanstandete Mischverwaltung noch kein Ersatz gefunden wurde. Warum wollen Sie einen Gesetzentwurf erst Ende März 2010 vorlegen?

Von der Leyen: Weil es seine Zeit braucht, um ein verfassungsfestes Gesetz zu machen. An einer Lösung wird aber längst gearbeitet. Es geht darum, die Angebote und Leistungen für Langzeitarbeitslose weiter unter einem Dach zu erhalten. Die Menschen sollen nicht von Pontius bis Pilatus laufen müssen, um ihre individuelle Hilfe umfassend zu bekommen. Ich will den Betroffenen die gute Zusammenarbeit in den Jobcentern erhalten.

Die sauberste Variante wäre eine Verfassungsänderung, damit alles so bleiben kann wie gehabt.

Von der Leyen: Nein. Das ist zwei Jahre lang vergeblich versucht worden. Für eine Verfassungsänderung sehe ich keine Mehrheiten. Wir sollten jetzt die verbleibende Zeit gut nutzen, um eine pragmatische Lösung zu finden.

Laut Bundesagentur für Arbeit haben die sogenannten Optionskommunen, die die Vermittlung in Eigenregie betreiben, schlechtere Ergebnisse als die Arbeitsgemeinschaften erzielt. Gehört das Modell nicht abgeschafft?

Von der Leyen: Die Bundesagentur für Arbeit kennt sich besser im überregionalen Arbeitsmarkt aus. Die Kommune ist aber besser, wenn es um sozial-integrative Kompetenzen wie zum Beispiel Kinderbetreuung, Schulden oder Suchtprobleme geht. Wir brauchen die Kompetenzen von beiden.

Laut Koalitionsvereinbarung soll die Grenze für die sozialversicherungsfreien 400-Euro-Jobs möglicherweise erhöht werden. Wann gibt es eine Entscheidung?

Von der Leyen: Wir werden bis Ende 2010 ein Konzept dazu vorlegen, das auch die Hinzuverdienstregelungen einbezieht. Grundsätzlich muss das Prinzip gelten, mehr Arbeit soll sich auszahlen, muss aber immer auch zu mehr Unabhängigkeit von staatlicher Hilfe führen.

Und die Gefahr einer Verfestigung der staatlichen Alimentierung sehen Sie nicht dabei?

Von der Leyen: Zweifellos darf es auch nicht sein, dass sich ein Hartz-IV-Empfänger mit einem gewissen Zuverdienst in der staatlichen Unterstützung einrichtet. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, nämlich, so viel wie möglich zu arbeiten und zu verdienen, und nur, wenn es trotzdem nicht reicht, den Staat in Anspruch zu nehmen. Genau diesen Balanceakt muss das Konzept schaffen.

Die Regierung hat das Kurzarbeitergeld noch einmal auf 18 Monate verlängert. Wird es angesichts des absehbaren Anstiegs der Arbeitslosigkeit dabei bleiben?

Von der Leyen: Für das Jahr 2010 haben wir eine gute Lösung gefunden. Aber wir müssen wachsam bleiben. Zur Jahresmitte muss man schauen, wie sich die Weltwirtschaft und der deutsche Arbeitsmarkt entwickeln. Dann werden wir wissen, ob wir nachsteuern müssen oder nicht.

Frau Ministerin, was wünschen Sie sich persönlich für das kommende Jahr?

Von der Leyen: Sinnstiftende Arbeit und Zeit für meine Familie.

Zur Person

Ursula von der Leyen (CDU, 51) war von 2003 bis 2005 Sozialministerin in Niedersachsen und von 2005 bis 2009 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Nach dem Rücktritt von Arbeitsminister Franz Josef Jung wurde von der Leyen am 30. November 2009 zu dessen Nachfolgerin ernannt.

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