"Mich kriegen hier keine zehn Pferde raus"

TRIER. Häusliche Pflege und Essen auf Rädern - dank solcher Angebote können heute oft auch ältere Menschen, die nicht mehr ganz fit sind, in den eigenen vier Wänden bleiben. Die Triererin Hilde Lieblang zum Beispiel. Im Rahmen unserer Serie "Wohnen im Alter" stellen wir sie heute vor.

 Glücklich in ihrer Wohnung: Hilde Lieblang.Foto: Inge Kreutz

Glücklich in ihrer Wohnung: Hilde Lieblang.Foto: Inge Kreutz

Wenn das Kabeljau-Filet doch gebacken wäre. "Sonst schmeckt alles so gut, und ich esse ja auch gerne Fisch", sagt Hilde Lieblang, aber gedünstet - nein, das sei nichts für sie. "Wäre es nicht möglich…?" - "Klar", sagt Hermann Schaaf, "das kriegen wir hin. Ihr Kabeljau-Filet kommt in Zukunft in den Ofen, Frau Lieblang." Die 79-jährige Triererin strahlt. "Mir geht es so gut! Ich werde verwöhnt vom Roten Kreuz."Hausnotruf gibt Sicherheit

Seit drei Jahren lässt sich die alte Dame jeden Tag von Hermann Schaaf und seinen Mitarbeitern beim Mahlzeitendienst des Trierer Roten Kreuzes in ihrer Wohnung das Mittagessen servieren. Selbst zu kochen schaffe sie einfach nicht mehr, erzählt Hilde Lieblang. "So habe ich keine Spülerei und kann nach dem Essen gleich ein Nickerchen machen." Auf dem Küchentisch stapeln sich Medikamenten-Schachteln, doch die temperamentvolle Seniorin wirkt topfit, wie sie da in ihrem Sessel am offenen Fenster sitzt und erzählt. Von ihrem Leben als Verkäuferin und Kassiererin, vom Tod ihres Mannes vor 15 Jahren, von der Familie, die auf eine einzige Schwägerin zusammengeschrumpft ist, von den vielen Krankenhausbesuchen in den vergangenen Jahren. Ihre Rückenwirbel spielen nicht mehr mit, sie kann nur noch kurze Zeit aufrecht stehen. "Wenn ich falle, komme ich nicht mehr auf. Deshalb bin ich sehr glücklich, dass ich das hier habe." Sie deutet auf ihr Handgelenk. Was auf den ersten Blick wie eine Armbanduhr aussieht, hat dort, wo man das Zifferblatt vermutet, einen Knopf. "Unser Hausnotruf", erklärt Hermann Schaaf. "Wenn Frau Lieblang diesen Knopf drückt, baut sich über eine Basisstation an ihrem Telefon ein Kontakt zum Roten Kreuz auf." Dort liegt ihr Wohnungsschlüssel, so dass bei Bedarf schnell Hilfe zur Stelle ist.Seit zehn Jahren nicht mehr vor der Tür

Neben Mahlzeitendienst und Hausnotruf nimmt Hilde Lieblang auch den häuslichen Pflegedienst des Roten Kreuzes in Anspruch - einmal pro Woche lässt sie sich waschen. Die Seniorin schwärmt von den Rot-Kreuz-Kräften, die auch schon mal die Post mit hoch bringen oder den Müll heraustragen. "Sie sind alle so lieb!" Und dann ist da noch "Ute, meine Gute", die die Wohnung sauber hält und die Wäsche macht. Dank dieses Netzes von Helfern schafft Hilde Lieblang es, das Leben zu führen, das sie sich wünscht: "Es bedeutet mir sehr viel, dass ich in meiner Wohnung bleiben kann." Sie fasst sich an die Stirn und deutet auf die Füße. "So lange ich da oben und da unten fit bin, kriegen mich hier keine zehn Pferde raus." Seit zehn Jahren war die Triererin nicht mehr vor der Tür. "Die Angst zu fallen ist zu groß." Einsamkeit? Das Gefühl, dass ihr die Decke auf den Kopf fällt? Ach was! "Ich habe immer Leute um mich rum." Die Schwägerin, Freundinnen, Nachbarinnen. "Außerdem lese ich viel. Und abends sehe ich fern. Verbotene Liebe. Marienhof. Nach dem Abendessen gucke ich auch noch mal, was kommt." Nein, nein, sagt sie, den Kopf lasse sie nie hängen. "Ich war immer ein munterer Typ. Mir fehlt es an nichts. Ich bin rundum glücklich." Was passiert, wenn ihre Wirbel eines Tages noch mehr Probleme machen? Sie nicht mehr alleine aufstehen kann? "So weit war ich schon mal", sagt die Rentnerin. "Da kam der häusliche Pflegedienst eben jeden Tag." Sicher, meint sie, "wenn es mal gar nicht mehr geht, werde ich wohl in einem Pflegeheim landen". Dann wechselt Hilde Lieblang das Thema. Düstere Szenarien sind ihre Sache nicht. Vorerst hat sie nur ein Problem: "Herr Schaaf, Sie denken ja an das Kabeljau-Filet?"

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