Milde Töne statt scharfer Schüsse aus der Hüfte

Washington · Donald Trump spricht vor dem US-Kongress, und zwar äußerst diszipliniert.

Washington Seine Augen klebten förmlich am Teleprompter. Kein Abschweifen, keine plötzlichen Poltereinlagen, keine verbalen Schüsse aus der Hüfte. Donald Trump hat sich ausnahmsweise strikt an ein Manuskript gehalten, er hat verlesen, woran seine Redenschreiber tagelang feilten. Bei seinem ersten Auftritt vor dem Kongress hat der US-Präsident bewiesen, dass er sowohl diszipliniert sein als auch gesetztere Töne anschlagen kann. Vom Stil her war es der mildere Donald Trump, der da unter einem riesigen Sternenbanner stand, um zu den Senatoren und Abgeordneten beider Parlamentskammern zu sprechen. Statt gegen die Medien zu polemisieren oder düster von der Verwüstung des eigenen Landes zu reden, wie er es noch bei seiner Amtseinführung getan hatte, gab er den sonnigen Optimisten. Die Zeit für kleines Denken sei abgelaufen, die Zeit für belanglose Gefechte vorbei, sagte er. Von nun an lasse sich Amerika von seinen Hoffnungen leiten, statt sich von seinen Ängsten niederdrücken zu lassen. Begonnen hat er damit, die Hassverbrechen der vergangenen Tage, von rassistisch motivierten Schüssen auf zwei indische Männer in einer Kneipe in Kansas City bis hin zum Umstürzen von Grabsteinen auf jüdischen Friedhöfen in St. Louis und Philadelphia, klipp und klar zu verurteilen. Später fand er beruhigende Worte für die nervösen Nato-Verbündeten, nachdem er den Pakt noch im Wahlkampf als obsolet bezeichnet hatte. Entschieden unterstütze er eine Allianz, die durch die Bande zweier Weltkriege ebenso geschmiedet worden sei wie durch den Kalten Krieg, der den Kommunismus besiegte, sagte Trump. Wie schon zuvor forderte er die Nato-Partner auf, ihre finanziellen Lasten angemessen zu tragen, allerdings ohne den drohenden Unterton, dessen er sich sonst so häufig bediente. "Das Geld beginnt ja schon zu fließen. Sehr schön. Sehr schön", fügte er, abweichend vom vorbereiteten Text, in seinem charakteristischen Stakkato-Englisch an. So versöhnlich das alles klingen sollte, auf den nationalistischen Grundtenor seiner Kampagne hat auch der präsidialere Donald Trump nicht verzichtet. "Wir haben ein globales Projekt nach dem anderen finanziert, aber das Schicksal unserer Kinder in den Innenstädten von Chicago, Baltimore und Detroit ignoriert", wetterte er ganz im Sinn seiner Devise "America first". Als er von der forcierten Abschiebung illegal Eingewanderter sprach, sprach er von den "schlimmen Fingern", die das Land verließen, während er diese Rede halte.Das Ministerium für Heimatschutz, kündigte er an, werde eine Sonderabteilung gründen, um sich dem Gedenken an Menschen zu widmen, die Straftaten illegaler Immigranten zum Opfer gefallen seien. "Wir geben denen eine Stimme, die von den Medien ignoriert worden sind". Als sich Trump an Carryn Owens wandte, die Witwe von William "Ryan" Owens, eines Ende Januar bei einer Kommandoaktion auf einen Al-Qaida-Ableger im Jemen getöteten US-Soldaten, war er der gütige Landesvater, der aufrichtig trauert. Während die Fernsehregie die Tränen der Frau zwei Minuten lang ohne jede Zurückhaltung in Großaufnahme zeigte, wurde sie im Saal mit stehenden Ovationen gefeiert. Darauf Trump in Anspielung auf die Länge des Beifalls: "Ryan schaut jetzt auf uns herunter. Und er ist sehr glücklich, weil er, wie ich glaube, gerade einen Rekord gebrochen hat." Tatsächlich hatte sich Owens‘ Vater geweigert, mit dem Staatschef zu sprechen, als der zum Luftwaffenstützpunkt Dover geflogen war, wo der Sarg mit der Leiche des Elitesoldaten eintraf. Tatsächlich verlangt Owens senior eine Untersuchung, um die Hintergründe eines Angriffs unter die Lupe zu nehmen, den Kritiker wie der Republikaner John McCain eher für ein militärisches Fiasko halten. Jubelszenen, als der Präsident dafür warb, ein ehrgeiziges Infrastrukturprogramm in Angriff zu nehmen, neue Straßen, Brücken, Tunnel, Flughäfen "und Eisenbahngleise, die überall in unserem wunderschönen Land schimmern werden". Wie der Plan finanziert werden soll, erklärte er nicht. Und was konkret die von ihm zum Desaster gestempelte Gesundheitsreform Barack Obamas ersetzen soll, auch das behielt er für sich. Ganz offensichtlich regiere der Mann nicht so, wie es seine neuerdings weichgespülte Rhetorik vermuten lasse, entgegnete tags darauf Charles Schumer, der ranghöchste Demokrat im US-Senat. Er wende sich an die arbeitenden Menschen Amerikas, dabei habe er gerade denen seit seinem Amtsantritt nur geschadet, weil er de facto im Sinne bestimmter Interessengruppen handle. Trump, befand Nancy Pelosi, Schumers Kollegin im Abgeordnetenhaus, sei zweifellos ein talentierter Verkäufer. "Aber was wir im Moment haben, sind ausschließlich Worte. Was völlig fehlt, ist reales Handeln." KommentarMeinung

Gute Stilnoten für verbalen NebelDonald Trump hat vor beiden Kammern des US-Kongresses die bisher beste Rede seiner Präsidentschaft gehalten. Was daran liegt, dass es nach den fahrigen, aggressiven, teils bizarren Auftritten seiner ersten Wochen im Amt rhetorisch kaum noch bergab gehen konnte. Ausnahmsweise hat der schrille Milliardär darauf verzichtet, die Medien als seinen Lieblingsfeind an den Pranger zu stellen. Über weite Strecken klang er kaum anders, als manche seiner republikanischen Vorgänger im Weißen Haus klangen. Ein konservativer Politiker, der konservative Leitlinien skizziert. Nicht der zornige Rebell, der bereit ist, Sprengsätze ins Staatsgebäude zu schleudern, um es zum Einsturz zu bringen. Für einen Donald Trump ist das schon viel. Dass er diesmal auf Schockwirkung weitgehend verzichtete, hat ihm vergleichsweise gute Stilnoten eingetragen. Das zeigt jedoch nur, wie niedrig die Messlatte liegt. Als ob man schon froh sein müsste, wenn der Populist auf seine populistischsten Töne verzichtet. In der Substanz, um die es eigentlich gehen sollte, wenn ein US-Präsident im Parlament erscheint, um seinen Fahrplan fürs kommende Jahr vorzustellen, hat der Meister der Selbstinszenierung nicht mehr geboten als verbalen Nebel. Trump will ein groß angelegtes Infrastrukturprogramm starten, den Verteidigungsetat massiv erhöhen, die Steuern massiv senken und bei alledem nicht an den Sozialausgaben rütteln. Nach welcher Arithmetik die Rechnung aufgehen soll, eine Erklärung dafür ist er schuldig geblieben. nachrichten.red@volksfreund.de

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