Mit Fingerspitzen am Flächenbrand

BERLIN/TEHERAN. Der gewalttätige Konflikt um die Mohammed-Karikaturen hat am Montag mit voller Wucht das politische Berlin erreicht. Die Präsidiumssitzungen aller Parteien waren von dem Thema bestimmt.

Die Bundesregierung und die Parteispitzen von CDU und SPD bemühten sich erkennbar um eine Deeskalation. Wie ernst die Lage genommen wird, zeigten die eiligen Auftritte von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Montagmorgen. Merkel sagte, sie verstehe, dass Menschen es zum Ausdruck bringen wollten, wenn ihre Gefühle verletzt worden seien. Gewalt aber sei nicht akzeptabel. Ähnlich Steinmeier: "Wir dürfen nicht zulassen, dass aus diesem Streit ein Kampf der Kulturen wird." Die Pressefreiheit müsse verteidigt werden. In Brüssel kamen die sicherheitspolitischen Botschafter der EU-Länder am Nachmittag zusammen, um eine gemeinsame Erklärung vorzubereiten. Damit wolle man, hieß es im Berliner Außenministerium, auch deutlich machen, dass Dänemark von der Auseinandersetzung nicht allein betroffen ist. In Dänemark waren die umstrittenen Karikaturen zuerst erschienen, bevor sie dann in mehreren europäischen Staaten, darunter auch Deutschland, von anderen Zeitungen nachgedruckt wurden (siehe: Chronologie). Noch vor einer Woche hatte Kopenhagen in Brüssel signalisiert, eine solche gemeinsame Erklärung sei nicht nötig; man könne die Auseinandersetzung allein bestehen. Doch seitdem brennen nicht nur dänische Konsulate, auch deutsche Vertretungen wurden angegriffen. Am Montag traf es die österreichische Botschaft in Teheran und ein EU-Gebäude im Gaza-Streifen. Das Berliner Außenministerium ergänzte auf seinen Internetseiten unter Bezug auf die Ausschreitungen seine Reisehinweise für den Libanon, Israel, die Palästinensergebiete, Saudi-Arabien und Syrien um die Formulierung: "Weitere Proteste sind nicht auszuschließen. Es wird daher empfohlen, Menschenansammlungen und Demonstrationen unbedingt zu meiden." Am Montag ließ Steinmeier zudem seine Botschafter ausschwärmen, um in den betroffenen Ländern die deutsche Position wiederzugeben. Die Argumentation ist dabei ein Drahtseilakt. Die Karikaturen, die entgegen strenger islamischer Religionsverbote den Propheten Mohammed zeigen, werden von der Bundesregierung nicht verteidigt, aber auch nicht verurteilt, wie die moslemische Welt fordert. Kritik an den Veröffentlichungen kommt aus Berlin allenfalls diplomatisch. Es gelte das Grundrecht der Pressefreiheit, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm.Verständnis für Gefühle - aber nicht für Gewalt

Dabei obliege es den Trägern der Pressefreiheit, von diesem Grundrecht "mit Fingerspitzengefühl" Gebrauch zu machen und die Gefühle anderer zu beachten. Die Regierung habe dies nicht zu beurteilen. Aber die Bundesregierung habe Verständnis, wenn Muslime sich verletzt fühlten. Der Sprecher des Auswärtigen Amts, Martin Jäger, ergänzte: "Sie werden keinen Vertreter der Bundesregierung finden, der die Karikaturen gutheißt." Merkels Sprecher nannte den Konflikt "ein ganz großes Thema für die nächsten Jahre und Jahrzehnte". In der vernetzten Welt werde es immer wieder Missverständnisse und die Verletzung von Gefühlen zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen geben. Wichtig sei daher eine differenzierte Debatte und ein Dialog der Kulturen. Diesen Dialog müsse man auf allen Ebenen führen. "Unter allen Umständen muss Gewalt ausgeschlossen werden." Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul schlug ein Treffen der Weltreligionen bei den Vereinten Nationen unter Vorsitz von UN-Generalsekretär Kofi Annan vor. Verschiedentlich wurden am Montag auch Warnungen vor Konsequenzen für die innere Sicherheit in Deutschland laut. CDU/CSU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach sagte unserer Zeitung, man müsse sorgsam darauf achten, ob die Proteste zu einer zusätzlichen Radikalisierung führten. "Natürlich könnten religiöse Fundamentalisten versucht sein, die Situation auch hier zu Lande zu instrumentalisieren." Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, warnte vor Terroranschlägen in Deutschland. Bayerns Innenminister Günther Beckstein forderte die gemäßigten Moslems in Deutschland auf, auf ihre Glaubensbrüder einzuwirken. Nach Auskunft des Bundesinnenministeriums gibt es in Deutschland jedoch derzeit keine erhöhte Gefahrenlage.

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