Mit Kopf und mit Herz

BERLIN. Deutschland hat einen zentralen Ort des Gedenkens an den Holocaust: Nach einem 17 Jahre währenden Streit ist am Dienstag in der Nähe des Brandenburger Tores in Berlin das Denkmal für die ermordeten Juden Europas eingeweiht worden.

Drei frische rote Rosen. Sie hängen gegenüber dem Tiergarten am Bauzaun, der rund um das Mahnmal errichtet worden ist. Ein Unbekannter oder eine Unbekannte hat sie am Abend vor der Einweihung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas direkt neben den Eingang zum Festzelt befestigt. Das so umstrittene, wogende Feld aus 2711 Beton-Stelen im Herzen Berlins hat seine erste Wirkung bereits entfaltet, weil irgendjemand dort noch vor der Eröffnung eben diese drei unscheinbaren, roten Rosen abgelegt hat. Aus Trauer, in Erinnerung, in Gedenken. Kaum einer der 1200 geladenen Gäste beachtet sie auf seinem Fußweg zur Feierstunde. Der Regen hat aufgehört, auf die Stelen zu prasseln, der Himmel reißt auf, die Sonne kommt ein wenig hervor, als die vielen Gäste eine halbe Stunde vor Beginn der Zeremonie in das große Festzelt strömen. Unter ihnen Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzler Gerhard Schröder. Weiträumig ist das 19 000 Quadratmeter große Gelände zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz abgesperrt, auf dem das Mahnmal nach einem Entwurf des New Yorker Architekten Peter Eisenman entstanden ist. Auf den Dächern der umliegenden Häuser, auf dem noblen Hotel Adlon und den Balkons der angrenzenden Landesvertretungen stehen Polizisten und beobachten das Geschehen ganz genau. Ungewohnte Ruhe legt sich deshalb über diesen ansonsten so hektischen Teil von Berlins Mitte, eine eindrucksvolle, fast friedliche Stille umgibt das monumentale und begehbare Denkmal plötzlich. Auch im Alltag, zwischen Touristenscharen und Autolawinen, wird es nach den Worten von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse "eine große emotionale Kraft" entfalten. "Dieses Denkmal - mit dem Ort der Information - kann uns Heutigen und den nachfolgenden Generationen ermöglichen, mit dem Kopf und mit dem Herzen sich dem unbegreiflich Geschehenen zu stellen", sagt Thierse in seiner Ansprache. Es sind aber nicht die Worte des Bundestagspräsidenten, die bei der Veranstaltung besonders bewegen. Oder die des Architekten Eisenman, der noch einmal daran erinnert, dass die hitzige, über 17 Jahre geführte Debatte "das Projekt zu einem besseren gemacht hat". Auch die kritischen Anmerkungen von Paul Spiegel, dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, verblassen. Er bemängelt die "unvollständige Aussage des Denkmals", den fehlenden Verweis auf die Täter, die nicht ausreichende "Konfrontation mit Schuld und Verantwortung". Nein, an diesem historischen Tag, an dem sich das wiedervereinigte Deutschland ein "erstes, gemeinsames Erinnerungsprojekt" (Thierse) gibt, mit dem der Millionen Juden gedacht werden soll, die während der Nazi-Diktatur ermordet wurden, sind es zwei andere Personen, die vielen Anwesenden die Tränen in die Augen treiben. Sabina van der Linden ist die eine. Als Stimme der sechs Millionen Toten und der wenigen Überlebenden des Holocausts schildert die inzwischen in Sydney wohnende Frau ihr ergreifendes Schicksal, die Verfolgung und die Ermordung ihrer Familie, die sie als Kind erleben musste. Außerdem ist da noch Lea Rosh, eine der Initiatoren des Mahnmals. Eine bewegende Vereinbarung mit Architekt Eisenman löst sie ein: In eine Stele wird ein Backenzahn eines unbekannten jüdischen Opfers eingelassen, den Rosh im Sand eines Vernichtungslagers in Polen fand. Und ein gelber Stoffstern, den die Juden damals tragen mussten.

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