Mit Pokerface nach Brüssel

Kompromisssignale aus Polen, scharfe Töne aus Spanien, neue britische und niederländische Forderungen - vor dem heute beginnenden EU-Gipfel in Brüssel wurde noch einmal kräftig Position bezogen.

Berlin. Die deutsche Präsidentschaft schließt ein Scheitern nicht mehr aus. "Wenn es keine Lösung gibt, geht die Welt auch nicht unter", hieß es in Berlin. Es sei offen, ob die Kraft schon jetzt für einen Konsens reiche. Aber auch diese Äußerung dürfte nur Taktik sein. Kanzlerin Merkel und ihr Team wollen den Druck auf Polen nicht noch steigern, das derzeit als Haupthindernis einer Einigung gilt. Zudem haben auch andere Staaten Änderungswünsche. Ein gutes Dutzend Streitpunkte sind noch ungeklärt, darunter mehrere sehr ernste. Dazu gehört etwa der niederländische Wunsch nach einer Verschärfung der Kriterien für weitere EU-Beitritte. Großbritannien wiederum hat ein Problem damit, dass die Europäische Grundrechte-Charta zwar laut dem deutschen Vorschlag nicht in den neuen Verfasssungsvertrag aufgenommen, jedoch für rechtlich verbindlich erklärt werden soll. Englands Wunsch, die Stellung des künftigen europäischen Außenministers zu schwächen, hat Spanien auf den Plan gerufen. Madrid habe außerdem verkündet, wenn ein Land Änderungen am Kern der Verfassung durchsetze, seinerseits ebenfalls zahlreiche Änderungen zu verlangen, hieß es in Berlin. Gestern mildere Signale aus Warschau

Um die neue Verfassung auf den Weg zu bringen, ist Einstimmigkeit nötig, zum letzten Mal. Denn künftig soll es in vielen Fragen Mehrheitsentscheidungen geben. Nur so gilt eine EU mit jetzt 27 und künftig noch mehr Mitgliedern noch als handlungsfähig. 66 Prozent der EU-Bürger sind laut einer gestern veröffentlichen Umfrage für eine Verfassung. In Polen waren es sogar 69 Prozent. Die Warschauer Regierung sandte gestern mildere Signale aus. Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski erklärte, "im Moment" wolle man nur, dass es eine Debatte über die Mehrheitsentscheidungen gebe. Polen schlägt ein System vor, bei dem es deutlich mehr Stimmen ins Gewicht werfen kann und Deutschland weniger. Demgegenüber wollen 25 Staaten das geplante Prinzip der "doppelten Mehrheit" beibehalten: Sie gilt, wenn 55 Prozent der Mitgliedsländer, die gleichzeitig mindestens 65 Prozent der EU-Bürger repräsentieren, einem Beschluss zustimmen. Es sei doch ein gutes Omen, sagte der in dieser Frage besonders harte Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski, dass nicht er nach Brüssel fahre, sondern sein Zwillingsbruder, Staatspräsident Lech Kaczynski. "Ich wäre nur gefahren, wenn es um ein Veto gegangen wäre". Tschechien hat sich Polen formal angeschlossen, will aber nichts blockieren. Prag legte einen Kompromiss vor, der die Regelung der doppelten Mehrheit geringfügig ändert. Die deutsche Seite war gestern erkennbar bemüht, die Konfrontation aus der Debatte herauszunehmen. Sie setzt offenbar darauf, auf dem Gipfel selbst den Teilnehmern klar zu machen, dass Europa mit gegenseitigen Vetodrohungen nicht weiter kommt und genau deshalb die neue Verfassung braucht. Den Teilnehmern wurde jedenfalls geraten, ein paar Hemden mehr mitzunehmen, die Sitzung könne bis Samstag früh dauern.

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