Münteferings Spagat

BERLIN. (BB) Artistische Leistung des neuen SPD-Chefs: Er will den eingeschlagenen Reformkurs beibehalten, aber auch die Parteibasis mehr beteiligen.

Nach dem überraschend angekündigten Rückzug des Bundeskanzlers Gerhard Schröder vom SPD-Parteivorsitz hat sich die Diskussion in der SPD um den richtigen Kurs keineswegs verflüchtigt. Sowohl der designierte Parteichef Franz Müntefering als auch der grüne Koalitionspartner bekräftigten am Montag ihre Absicht, die geplanten Reformen "unverändert" fortzusetzen. Dagegen wurden abermals Forderungen aus Reihen der Sozialdemokraten laut, die Reformpolitik "gerechter" zu gestalten. Seit vergangenen Freitag betont Müntefering unentwegt, am Reformprozess festhalten zu wollen. Am Montag benutzte er dafür die Formulierung, der Kurs werde "an keiner Stelle" verlassen. Allerdings versprach er auch, die Partei "enger an die Diskussion "ranholen" zu wollen und deutete zugleich an, sehr wohl eine neue Akzentuierung der SPD-Politik ins Auge zu fassen. Man werde sich verstärkt darum bemühen, dass es bei den Reformansätzen gerecht zugehe, sagte er in der ARD. Dabei müssten "Unternehmen und Einkommensstarke entsprechend ihren Möglichkeiten zum Gesundungsprozess des Landes beitragen". Diese Formulierung wurde in Berlin als Versuch gedeutet, den Kritikern in den eigenen Reihen entgegen zu kommen. Insbesondere die Jusos, die Parteilinken, aber auch die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis erhoffen sich einen Gerechtigkeitsimpuls vor allem durch eine Erhöhung der Erbschaftssteuer. Darauf wiesen Juso-Chef Niels Annen und Saar-Parteichef Heiko Maas ausdrücklich hin. Wie Maas nannte auch Annen die Ausbildungsabgabe und die Bürgerversicherung als anzustrebende Ziele und meinte, die künftigen Vorhaben müssten jene mehr betreffen, "die reicher sind in dieser Gesellschaft". Allerdings sind die Projekte auch innerhalb der SPD umstritten. Während etwa Müntefering für eine Ausbildungsabgabe plädiert und die SPD-Fraktion einen Gesetzentwurf dazu vorlegen will, wird sie von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement vehement abgelehnt. Interessant auch die Reaktion auf die Aussage des nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Harald Schartau, der öffentlich verlangt hatte, "die Fehler (der Reformen) zu korrigieren". Insbesondere müsse bei den Betriebsrenten und den Direktversicherungen die Verdoppelung der Krankenversicherungsbeiträge rückgängig gemacht werden. Auffallend war, dass Schartaus Forderung von der Partei- und Regierungsspitze nicht sofort zurück gewiesen wurde. Schartau, Präsidiumsmitglied der SPD, gilt als mächtigster Landeschef der Partei. Er hat in diesem Herbst Kommunalwahlen und im nächsten Jahr Landtagswahlen zu bestehen. Heftige Kritik musste hingegen der Kieler SPD-Bundestagsabgeordnete Hans Peter Bartels hinnehmen, der von der Notwendigkeit einer Kabinettsumbildung gesprochen und den neuen Generalsekretär Klaus Uwe Benneter als "allerletztes Aufgebot" bezeichnet hatte. NRW-Regierungschef Peer Steinbrück nannte diese Äußerung gegenüber unserer Zeitung "unsäglich und parteischädigend". Das "Sabbeln" müsse endlich aufhören.

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