Multiple Sklerose: Die unheilbare Krankheit - Eine Betroffene erzählt, wie sie mit der Diagnose umgeht

Trier · Tausende Menschen in Rheinland-Pfalz leiden an MS - Multiple Sklerose. Eine chronische Erkrankung von Gehirn und Rückenmark. Heilung gibt es nicht. Eine Betroffene aus der Region erzählt, wie sie mit der Krankheit umgeht.

 Warum das Gehirn Betroffener plötzlich erkrankt, wissen Forscher bis heute nicht. Ein überdimensionales, begehbares Gehirnmodell soll im Hauptbahnhof in Stuttgart auf Multiple Sklerose aufmerksam machen. Foto: dpa

Warum das Gehirn Betroffener plötzlich erkrankt, wissen Forscher bis heute nicht. Ein überdimensionales, begehbares Gehirnmodell soll im Hauptbahnhof in Stuttgart auf Multiple Sklerose aufmerksam machen. Foto: dpa

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Trier. Sie erinnert sich noch genau an den Tag, an dem sie zum ersten Mal Symptome bei sich feststellte. Taubheitsgefühle im Arm, in der Schulter, im Gesicht. Vor sieben Jahren ist das gewesen. Die heute 48-Jährige ist auf einer Dienstreise im Ausland. Sie habe die Symptome zunächst nicht einordnen können.

Erst als eine Kollegin, die an Multipler Sklerose (MS) erkrankt ist, ihr sagt, es könnte genau die Krankheit sein, reist sie sofort nach Hause. Dort überweist sie ein Neurologe direkt an das Brüderkrankenhaus. In der Klinik gibt es ein Behandlungszentrum für MS-Kranke. Eine Tomografie bringt die Gewissheit: Die Frau, die im Management arbeitet, hat MS. "Gott sei Dank", sei ihre erste Reaktion gewesen. "Ich wusste dann, womit ich es zu tun hatte."

Die 48-Jährige, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte - aus Angst ihr neuer Arbeitgeber könnte sie doch nicht einstellen, wenn er von ihrer Erkrankung weiß - ist eine von 130 000 MS-Patienten in Deutschland. Die prominenteste Rheinland-Pfälzerin, die auch sehr offen mit ihrer Erkrankung umgeht, ist Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Bei ihr wurde 1994 die Diagnose gestellt.

Über 800 MS-Kranke werden jährlich im Brüderkrankenhaus behandelt. Auch die 48-Jährige aus der Nähe von Trier muss alle sechs Wochen untersucht werden. Sie bekommt dann eine Infusion und im Magnetresonanztomograf (MRT) wird untersucht, wie sich die Krankheit entwickelt. Man sieht ihr nicht an, dass sie krank ist. Sie kann normal gehen, kann sich bewegen. Und diese Normalität macht ihr zu schaffen. Denn auch Bekannte oder Verwandte vergessen manchmal, dass sie krank ist, und machen unbedachte Äußerungen, wenn sie mal eine Pause machen muss oder mal wieder etwas länger braucht, bis sie das richtige Wort gefunden hat. Wortfindungsstörungen und immer wiederkehrende Taubheitsgefühle sind die Symptome, mit denen sie sich rumschlagen muss. Wohl ein Leben lang.

Denn eine Heilung gibt es bei MS nicht, wie der Chef-Neurologe im Brüderkrankenhaus, Matthias Maschke, sagt. Je früher die Krankheit entdeckt werde, desto besser könne man sie in den Griff bekommen, den Verlauf eindämmen. Für viele Betroffene sei die Diagnose MS ein Schock, sagt Christoph Klawe, Oberarzt in der Neurologie. MS bedeute nicht automatisch, bewegungsunfähig zu werden und im Rollstuhl zu landen. Mehr als die Hälfte der Erkrankten bleibe arbeitsfähig und habe keine sichtbaren Behinderungen, sagt Maschke.

So wie die 48-Jährige, bei der eine weniger aggressive Form von MS festgestellt worden ist. Sie müsse sich nicht großartig einschränken, sagt sie. Auch das Rauchen habe sie entgegen dem ärztlichen Rat nicht aufgegeben. Sie könne Radfahren und im Garten arbeiten. Auch wenn sie dabei oft an ihre Grenzen komme. Dann denke sie "Verdammte Scheiße, warum hat es mich getroffen." Doch im Großen und Ganzen habe sie sich damit abgefunden, an MS zu leiden, eine Krankheit, die sie ihr ganzes Leben lang begleiten wird. Bis zu einem Dreiviertel Jahr nach der Diagnose habe es gedauert, bis sie das akzeptiert und sich gesagt habe: "Ich lebe mit MS, auch wenn wir nicht die besten Freunde werden."

Ihre große Angst ist, dass ihre Tochter auch daran erkrankt. Denn hat ein Familienmitglied MS, besteht für Verwandte eine leicht höhere Wahrscheinlichkeit, ebenfalls daran zu erkranken. Wie es genau zu der Krankheit kommt, wisse man nicht, sagt Maschke. Manche Menschen seien genetisch eben anfälliger dafür. Kommen dann noch Umwelteinflüsse wie etwa ein Virus hinzu, bestehe die Wahrscheinlichkeit, zu erkranken. Allerdings könne man bei keinem Menschen voraussagen, ob und wann er MS bekomme, sagt der Chefarzt.Extra

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische, entzündliche Erkrankung von Gehirn und Rückenmark. In Deutschland gibt es mindestens 130 000 Betroffene, in Rheinland-Pfalz rund 6000. Zwei Drittel davon sind Frauen. Die Erkrankung wird in der Regel zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr festgestellt - mit geringerer Häufigkeit tritt sie aber auch schon im Kindes- und Jugendalter auf. Erstdiagnosen nach dem 60. Lebensjahr sind selten.

Die Abteilung für Neurologie, Neurophysiologie und neurologische Frührehabilitation im Trierer Brüderkrankenhaus ist seit 2009 anerkanntes Zentrum für Multiple Sklerose (MS) und damit nach eigener Aussage eines der wenigen zertifizierten MS-Zentren in Rheinland-Pfalz. Über 800 Patienten von 15 Jahren bis ins Seniorenalter werden dort behandelt. red

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