Nach außen blass, nach innen durchsetzungsstark

BERLIN. Es ist nicht so, dass sich Angela Merkel in diesen Tagen nach Kameras und Mikrofonen drängt. Für eine Erläuterung der Wasserstandsmeldungen im Poker mit der SPD ist eher die zweite Reihe in der Union zuständig. Wie meistert Merkel selbst die Koalitionsverhandlungen?

Die sparsame mediale Präsenz der CDU-Chefin verstärkt den Eindruck, dass es um die "schwarze Handschrift" im Koalitionsvertrag eher dürftig bestellt sein könnte. Der Unmut in den eigenen Reihen wurde darüber bereits öffentlich artikuliert. Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff klagte, dass man sich "bisher zu wenig durchgesetzt" habe. Gestern legte CDU-Vize Christoph Böhr nach (siehe Interview oben). Hat Angela Merkel also versagt? Lässt sie sich von den Genossen über den Tisch ziehen? Alles Blödsinn, sagen Getreue, die um die Verhandlungsführung der Kanzlerin in spe hinter verschlossenen Türen wissen. "Sie ist zwar nach außen nicht sehr wahrnehmbar, doch hinter den Kulissen ausgesprochen beharrlich und durchsetzungsstark." Dass Merkel an Reputation gewinnen würde, hätten am Wahlabend des 18. September wohl nur die Wenigsten geglaubt. In den vergangenen sieben Wochen schaffte Merkel es auf ruhige und besonnene Weise, den Sozialdemokraten die Schnapsidee einer eigenen Kanzlerschaft auszutreiben und gleichzeitig ihren persönlichen Anspruch auf das einflussreichste Amt im Staat durchzusetzen. Die CDU-Chefin sorgte dafür, dass die Genossen im Poker um den Bundestagspräsidenten das Nachsehen hatten. Und sie brachte die Sozialdemokraten dazu, die ganze Dimension der haushaltpolitischen Düsternis endlich auch öffentlich einzugestehen. Dass sich Edmund Stoiber grummelnd nach München zurückzog und Franz Müntefering auf dramatische Weise aus dem Chefsessel der SPD gekippt wurde, wertet Merkels Stellung im Berliner Machtgefüge noch zusätzlich auf. Dabei widerstand sie der Verlockung, eine geschwächte SPD mit lautstarken Forderungen zu konfrontieren, wie es sich wohl viele Christdemokraten gewünscht hätten. Nüchtern betrachtet hat sich an der Verhandlungskonstellation wenig geändert. Obgleich der designierte SPD-Vorsitzende, Matthias Platzeck, an allen entscheiden Runden teilnimmt, hält Müntefering die Fäden weiter in der Hand. Warum sollte sich Platzeck auch verkämpfen, bevor er zu Münteferings Nachfolger gewählt ist? Dass das Binnenverhältnis Müntefering-Platzeck für Merkel zum politischen Risikofaktor werden könnte, steht auf einem anderen Blatt. Zunächst einmal muss sie den gegebenen Verhältnissen Rechnung tragen. Und da eben, so sagen Eingeweihte, führe eine öffentliche Zurückhaltung eher zum Ziel. In der Diskussion um eine Heraufsetzung der Mehrwertsteuer hat sie die Dinge freilich allzu lange treiben lassen. Hier hantierte die SPD zweifellos cleverer. Die Genossen schrieben sich die "Reichensteuer" auf die Fahne, um den Eindruck zu erwecken, so lasse sich die Grausamkeit einer von der Union verlangten Anhebung der Mehrwertsteuer sozial flankieren. Auf der anderen Seite zeigt sich jedoch, dass auch Merkel ihrem Drehbuch gerecht wird. "Ohne Senkung der Lohnnebenkosten gibt es keinen Koalitionsvertrag", hatte sie am Dienstag in einem seltenen Anflug von Klarheit auf der Fraktionssitzung verkündet. Gestern schien sich das Junktim bereits ins Positive zu kehren: Fraktionsvize Ronald Pofalla kündigte an, die Reduzierung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung wenigstens zum Teil über eine höhere Mehrwertsteuer zu finanzieren. Das Grundprinzip ist im Wahlprogramm der Union nachzulesen. So scheint sich wieder einmal zu bestätigen, dass Angela Merkel dann gut in Form ist, wenn es eng wird.

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