Nach dem Brexit: Wer zahlt, wenn die Briten raus sind?

Brüssel/London · Sieben Tage nach dem Votum der Briten für einen Ausstieg aus der EU gibt es mehr Fragen als Antworten. Spekulationen schießen ins Kraut, weil die Brexit-Befürworter zwar eine wirkungsvolle Kampagne angezettelt haben. Das Drehbuch, wie der Ausstieg ablaufen soll, haben sie aber nicht entwickelt.

Zwei Fragen werden besonders diskutiert: Was wäre, wenn die Briten es sich noch einmal anders überlegten und drin bleiben wollen? Und: Wer zahlt, wenn der Nettozahler Großbritannien aussteigt und sich finanziell nicht mehr am EU-Haushalt beteiligt?

Es wird viel geraunt über einen Exit vom Brexit, also den Ausstieg vom EU-Ausstieg. Unter welchen politischen Bedingungen in Großbritannien so etwas denkbar ist, soll hier außen vor bleiben. Es geht vielmehr um die rechtlichen Bedingungen aus Sicht der EU.

Die Juristen der EU-Kommission unterscheiden drei Phasen. In Phase 1 befinden wir uns gerade: Das Referendum ist ausgezählt, aus rechtlicher Sicht hat der Volksentscheid aber noch keine Relevanz. Wenn es sich die Briten jetzt noch anders überlegten, wäre es aus Brüsseler Sicht kein Problem. Dann kommt Phase 2: Laut Artikel 50 des EU-Vertrages muss Großbritannien dafür die Bereitschaft zum Austritt förmlich anzeigen. Im Brüsseler Juristendeutsch heißt es dazu: "Diese Notifizierung ist ein Rechtsakt mit schwerwiegenden Konsequenzen und muss daher eindeutig sein." Ein Brief muss kommen. Danach beginnen die Verhandlungen mit der EU über die Trennung, die zunächst auf 24 Monate angesetzt sind. Die Verhandlungen können in beiderseitigem Einvernehmen verlängert werden. Auch in dieser Phase kann Großbritannien jederzeit zurück.

Phase 3 beginnt, wenn Großbritannien raus ist. Die Juristen sind sich einig, ab wann der Ausstiegsprozess unumkehrbar ist. "Wenn die Ratifizierung des Ausstiegsdokuments in den Mitgliedstaaten beginnt, ist London definitiv raus", heißt es in Brüssel. Um wieder Zugang zum Club zu bekommen, müsste das Land den ganz normalen Beitrittsprozess über sich ergehen lassen. Wie die Ukraine, wie Albanien, wie die Türkei. Allerdings dürfte es Großbritannien leichter fallen als anderen Kandidaten, Beitrittskapitel abzuhaken. Etwa die Rechtstaatlichkeit müsste wohl nicht aufwendig überprüft werden.

Und wer zahlt für die Briten? Großbritannien ist trotz Britenrabatt Nettozahler in der EU. 2014 flossen unter dem Strich knapp fünf Milliarden Euro in den EU-Haushalt, 2013 waren es noch 8,6 Milliarden, 2012 7,3 Milliarden. Die Bertelsmann-Stiftung hat auf der Basis der Zahlen von 2013 ausgerechnet, dass Deutschland 2,5 Milliarden Euro im Jahr zusätzlich tragen müsste. Das ist aber eine theoretische Betrachtung. Sie unterstellt nämlich, dass sich im EU-Haushalt nichts ändert, wenn die Briten aussteigen. Das ist aber nicht wahrscheinlich: Wenn Großbritannien nicht mehr zahlt, bekommt es auch keine Leistungen aus Brüssel mehr. Die entscheidende Frage ist: Welche Beziehungen wird London künftig mit der EU haben? Derzeit laufen in Berlin und Brüssel die Vorbereitungen für den Haushalt 2017.

Nach Recherchen unserer Zeitung ignorieren die Haushälter dabei den Brexit noch völlig. Die Unsicherheit, wann Großbritannien aussteige und welcher Beziehungsstatus angestrebt wird, sei zu groß, um jetzt schon einzugreifen. In Brüssel rechnet man damit, dass irgendwann ein Sondergipfel anberaumt wird, bei dem die Folgen des Brexit für den EU-Haushalt beschlossen werden. Dort müsste ein neuer Verteilungsschlüssel für die Beiträge der jeweiligen Länder beschlossen werden.

Deutschland schultert derzeit einen Anteil von 21 Prozent, Großbritannien zwölf Prozent. Im Augenblick gilt der mehrjährige Finanzrahmen für die Zeit 2014 bis 2020. Der Etat für 2017, der gerade verhandelt wird, sieht Zahlungen von 134,9 Milliarden Euro vor.Extra

In schweren Zeiten für die Europäische Union hat die Slowakei von den Niederlanden die Ratspräsidentschaft übernommen. Die Herausforderungen für die Slowakei sind das Ja der Briten zum Austritt aus der Europäischen Union (EU) und die andauernde Flüchtlingskrise, in der die Gemeinschaft wenig Solidarität zeigt. Die seit 1993 unabhängige Slowakei, die auch zur Eurozone gehört, hat den Vorsitz vom 1. Juli bis Jahresende 2016 inne. Der slowakische Regierungschef Robert Fico hatte angekündigt, sein Land werde "ein ehrlicher Makler und guter Moderator sein".

Am Freitag sagte er: "Jede Diskussion, die einzelne Mitgliedsländer über die Zukunft der EU führen wollen, muss über die EU-Kommission und die offiziellen EU-Institutionen laufen." Nationale Alleingänge einzelner Länder seien nicht zielführend. Ausdrücklich bezog sich Robert Fico dabei auf die Flüchtlingskrise, in der sich die Slowakei zuletzt selbst nicht solidarisch gezeigt hatte. Fico forderte gemeinsame Lösungen, zu denen auf jeden Fall eine Verstärkung des gemeinsamen Grenzschutzes gehören müsse: "Back to Schengen!" ("Zurück zu Schengen!") müsse als Devise gelten.

Außenminister Miroslav Lajcak hatte schon am Vorabend erklärt, die slowakische Bevölkerung habe "keine Erfahrungen mit multikultureller Einwanderung". Man dürfe sie damit nicht überfordern, sonst würde dies nur rechtsextremen Kräften Auftrieb geben. Ähnliches gelte auch für andere Länder. dpa

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