Nach der Ohrfeige tritt die Kanzlerin die Flucht nach vorn an

Die Bundesregierung versuchte gestern aus ihrer Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht einen Sieg zu machen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die es bisher stets abgelehnt hatte, die alte Pendlerpauschale wieder einzuführen, frohlockte, die von den Richtern erzwungene nachträgliche Zahlung sei ein "Impuls für mehr Konsummöglichkeiten".

Berlin. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), immerhin Klagegegner in Karlsruhe, erklärte sogleich, er werde sich das Geld wegen der aktuellen wirtschaftlichen Situation nicht an anderer Stelle hereinholen, wenngleich er den Richterspruch für falsch halte. Es war der Versuch, die Debatte um Steuersenkungen über diesen Umweg zu beenden. Doch einer spielte nicht mit: CSU-Chef Horst Seehofer. Noch vor einigen Monaten hatte Steinbrücks Ministerium stets erklärt, wenn das Verfassungsgericht die jetzige Pendlerpauschale ablehne, könne man entweder den Kilometersatz drastisch senken oder die Steuererleichterung ganz streichen, um den Gleichheitsgrundsatz wieder herzustellen. Die Einsparung, 2,5 Milliarden Euro pro Jahr, müsse in jedem Fall erhalten bleiben.

Gestern war davon schon 30 Minuten nach der Urteilsverkündung keine Rede mehr. Merkel wie Steinbrück sehen in dem Akzeptieren des Urteils offenbar eine Möglichkeit, dem Vorwurf, sie täten zu wenig für die Nachfrage, entgegenzutreten. Die Rückzahlung durch die Finanzämter solle schnell erfolgen, "um damit hoffentlich einen zusätzlichen Kaufimpuls geben zu können", erklärte Steinbrück. Und Merkel ergänzte: "Das ist die richtige Antwort auf die augenblickliche, schwierige wirtschaftliche Situation."

So einfach wollte die CSU die Regierung aber nicht davon kommen lassen. Bei den Christsozialen sitzt der Ärger tief, denn man macht Merkels Ablehnung der CSU-Steuersenkungspläne mitverantwortlich für das schlechte Wahlergebnis bei den Landtagswahlen im September in Bayern. Entsprechend groß war gestern die Genugtuung in München. Von einem "Sieg der Gerechtigkeit" sprach Ex-CSU-Chef Erwin Huber. Und Seehofer rieb Merkel und Steinbrück genüsslich ihre Niederlage unter die Nase. "Es ist bedenklich, dass erneut die Politik in wichtigen Grundsatzfragen auf Gerichte warten muss, statt selbst zu handeln und zu gestalten". Zugleich verlangte er weitere steuerliche Entlastungen: "Es ist wirklich an der Zeit, dass die Bundesregierung umfassend und kraftvoll gestaltet". Im Einzelnen nannte der bayerische Ministerpräsident die Erhöhung des Grundfreibetrages, die Korrektur der kalten Progression sowie Investitionsanreize. Mit Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) versuchte sogar ein Kabinettskollege die Strategie Merkels und Steinbrücks zu durchkreuzen. Glos nannte die Auszahlung der alten Pendlerpauschale in seiner Erklärung ausdrücklich einen "ersten" steuerlichen Konjunktur-Impuls.

Ob allerdings Geld für weitere Impulse da ist, bleibt fraglich. Darauf wies der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Steffen Kampeter (CDU), hin. Weil die alte Pendlerpauschale den Staat 2,5 Milliarden Euro pro Jahr mehr kostet, die nun auch für 2007 und 2008 rückwirkend gezahlt werden müssen, werde der Spielraum für strukturelle Reformen geringer werden, sagte der Politiker. Jubel gab es über das Urteil beim ADAC und bei Arbeitnehmerorganisationen wie dem DGB und den CDU-Sozialausschüssen. Weil gestern auch SPD-Fraktionschef Peter Struck den Richterspruch einen "großen Erfolg für die Steuerzahler" nannte, schien es fast so, als habe nie jemand je die Abschaffung der Pendlerpauschale gewollt.

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