Nach der Politik folgt oft der freie Fall

BERLIN. Eine Studie über den beruflichen Verbleib von ehemaligen Bundestagsabgeordneten räumt mit Vorurteilen auf. Tenor der Erhebung: Nach der Politik folgt oft der freie Fall.

Wer einmal im Bundestag gesessen hat, der hat für den Rest des Lebens ausgesorgt. So die landläufige Meinung. Stimmt nicht, behauptet die Sozialwissenschaftlerin Maria Kreiner. Vielmehr tun sich ehemalige Bundestagsabgeordnete schwer damit, nach ihrem Ausscheiden aus dem Parlament wieder beruflich Fuß zu fassen. Die wenigsten werden Bestsellerautoren oder erhalten Aufsichtsratsposten."Politikerin geht putzen"

Lilo Friedrich ist so ein Fall. "Politikerin geht putzen", titelten im Sommer mehrere deutsche Zeitungen. Der Karriereknick begann für die Sozialdemokratin mit der Neuwahlentscheidung von Gerhard Schröder. Danach folgte für die Düsseldorferin mit den markanten roten Haaren das jähe politische Ende. Inzwischen verdient sich die 57-Jährige ihren Lebensunterhalt als Putzfrau für 11,50 Euro die Stunde, nachdem sie auf 100 Bewerbungen nur Absagen bekommen hatte. "Friedrich ist kein Einzelfall", sagt Wissenschaftlerin Kreiner von der Universität Oldenburg. Die 32-Jährige hat in einer Studie den Verbleib ehemaliger Bundestagabgeordneter untersucht. Ihr Fazit: Nur die wenigsten - von Selbstständigen wie etwa Juristen einmal abgesehen - kehren überhaupt in ihren alten Beruf zurück. Auch Beamte, von denen man immer glaubte, "sie fallen in den sicheren Schoß", schlagen laut Untersuchung oftmals einen gegenteiligen Weg ein, in dem sie bei Verbänden oder Institutionen unterkommen. Manch einer ist sogar von materieller Not bedroht. Denn Übergangsgeld gibt es lediglich einen Monat pro Parlamentsjahr, längstens 18 Monate. Danach folgt gleich Hartz IV. Mitleid braucht man aber nicht unbedingt zu haben: Der Job ist gut bezahlt. Überstehen Politiker zwei volle Wahlperioden, dann bekommen sie eine stattliche Pension. Auch wenn die erst mit 65 winkt. 38 ehemalige Abgeordnete aller großen Parteien, die 1994 oder 1998 aus dem Bundestag ausschieden, standen Kreiner für ihre Arbeit Rede und Antwort. Insgesamt kehrten 368 Politiker in den beiden Wahljahren nicht ins Parlament zurück, 212 waren da noch nicht im Rentenalter. Die wenigsten schieden freiwillig aus, fast alle empfanden es als tiefen Einschnitt in ihrem Leben: Mit dem Mandat verliert man auch Status und Macht, "viele fallen in ein großes Loch", so Kreiner. Plötzlich haben sie keine Termine mehr, keine Sitzungen, so genannte Freunde distanzieren sich, auch die Partei. Den Mandatsverlust, äußerte ein "Ehemaliger" gegenüber Kreiner, müsse man "erstmal verkraften". Hoffnungslos überqualifiziert

Ein Bundestagsmandat sei praktisch der Höhepunkt in der politischen Karriere, sagte eine andere Gesprächspartnerin: "Es ist so, dass man das nur erreicht nach unendlichen Jahren. Man muss also jahrelang Zettel verteilen und sich die dümmsten Veranstaltungen antun, bis man da mal in die Weihen kommt." Die Vorstellung, dass ein Bundestagsmandat für alle Zeit absichere und zu "einem schönen Leben" führen könne, sei in dieser Verallgemeinerung falsch, legt Kreiner dar. Für normale Berufe sind ehemalige Abgeordnete meist hoffnungslos überqualifiziert, viele Arbeitgeber sehen auch in der Parteizugehörigkeit ein Manko. Ein Interviewpartner habe es drastisch auf den Punkt gebracht: "Man sieht nur immer die, die ordentlich kassieren, aber das Heer derjenigen, die auf die Nase fallen, sieht man nicht."

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