Nachtreten verboten

Berlin . Bankrott-Erklärung. Wirtschaftlicher Analphabetismus. Steuer-Lügner. Geld-Diebe. Große Koalition der Abkassierer. Abzocker. – So oder ähnlich rüde schallten am Wochenende Schmährufe aus den Reihen von Gewerkschaften, Arbeitgebern, FDP, Grünen und Linkspartei.

Auch manche Medien ließen kaum ein gutes Haar an dem Regierungsvertrag von Union und SPD (siehe Hintergrund). Unter dem Titel "Gemeinsam für Deutschland - mit Mut und Menschlichkeit" haben die künftigen schwarz-roten Koalitionäre auf rund 190 Seiten alle Rezepturen zusammengefasst, mit denen sie unter einer Kanzlerin Angela Merkel Deutschland wieder zukunftsfähig machen wollen. Geht es nach den kritischen Stimmen dazu, ist die Koalition bereits gescheitert, bevor die Kanzlerin und ihre 15 Minister vereidigt worden sind. Doch die Spitze der künftigen Koalition will sich nicht bange machen lassen, steht demonstrativ fest zusammen. Davon konnten man sich am Samstag in Berlin ein Bild machen, als Angela Merkel, Noch-SPD-Chef Franz Müntefering, der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber und Fast-SPD-Vormann Matthias Platzeck vor der Bundespressekonferenz im Angesicht einer gewaltigen Journalistenschar Eckpunkte und vor allem den Geist der Vereinbarung breit erläuterten, auf deren Grundlage sie gemeinsam regieren wollen. Müntefering stellte in der ihm eigenen Schnörkellosigkeit gleich am Anfang klar: "Es wird eine große Koalition sein mit Frau Doktor Merkel als Bundeskanzlerin, auf gleicher Augenhöhe und auf vier Jahre angelegt." Der SPD-Chef wertete es als große Chance eines schwarz-roten Bündnisses, dass das "strukturelle Patt" zwischen Bund und Ländern aufgelöst werde. "Was vereinbart wurde, muss nun aber auch gemeinsam getragen werden." Alles auf dem Podium war an diesem denkwürdigen Tag auf Harmonie, Schulterschluss und Durchsetzungswillen ausgelegt. Der besonders gut gelaunt wirkende brandenburgische Ministerpräsident Platzeck brachte es blumig auf den Punkt: "Was wir hier unternehmen, ist keine Liebensbeziehung. Das ist eine nüchterne Zweck-Ehe." Beide Seiten dürften sich künftig nicht ständig gegenseitig "vors Schienbein treten, nicht einmal ein Fingerhakeln ist eigentlich erlaubt". Platzeck strahlte dabei aus, was den drei anderen auf dem Podium ein wenig fehlte: emotionale Nähe. Die Blicke der Vier richteten sich bereits auf den heutigen Montag. SPD, CDU und CSU wollen dann auf ihren Parteitagen über die Koalitionsvereinbarung diskutieren und auch abstimmen. Am Sonntag ging man in den Parteizentralen fest davon aus, dass dabei zwar durchaus kritisch diskutiert werden wird, dass die Parteitage am Ende aber mit überwältigender Mehrheit "Ja" sagen werden. Das ist wichtig, gelten diese Voten doch auch als wichtiges Stimmungsbarometer für den 22. November, jenem Tag, an dem Angela Merkel zur ersten Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt werden soll.

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