Neue Liebe, neuer Frust

TRIER. Jede dritte Ehe in Deutschland geht in die Brüche, Tendenz steigend. Es entstehen neue Partnerschaften, neue Familien. Doch nicht nur für Kinder ist es schwer, sich mit dieser neuen Situation abzufinden, auch die neuen Eltern müssen erst ihre Rolle finden.

Oftmals ist der Anspruch an die Partnerschaft sehr groß und die Frusttoleranz eher klein, wenn die Alltagssorgen zu naherücken. Schnell wird dann besseres Glück und mehr Zufriedenheit in neuen Beziehungen gesucht. Es folgt nicht selten: geschieden, wieder verliebt und neu verheiratet. Dadurch entstehen neue Familienmodelle, so genannte Patchwork-Familien mit komplizierten Beziehungen von Paaren, Kindern und Verwandten."Ich wollte eine richtige Familie haben"

"Ich hatte mir das Leben mit Richard und den Kindern schon etwas anders vorgestellt", meint Martina etwas resigniert. Martina ist seit fünf Jahren in zweiter Ehe verheiratet. "Ich wollte eine richtige Familie haben, bei der alle miteinander friedlich um einen Tisch sitzen. Stattdessen waren dauernd irgendwelche Eifersüchteleien, Reibereien und Machtkämpfe an der Tagesordnung." Die Turbulenzen sind geblieben, aber die Eheleute geben den Versuch nicht auf, aus zwei Teilfamilien eine gemeinsame zu machen. "Zum Glück haben wir nicht gewusst, was auf uns zukommt. Wir mussten ganz schön zusammenhalten und ganz neue Regeln für das Zusammenleben finden. Noch heute ist es nicht einfach, den Kindern und auch uns selbst dabei gerecht zu werden", resümiert der 43-jährige Richard. Martina hatte nach der Scheidung mehrere Jahre alleine mit ihren beiden Töchtern Melanie und Celina gelebt. Als sie Richard kennen lernte, hatte er gerade eine strapaziöse Scheidung hinter sich gebracht. Da seine Ex-Frau beruflich sehr engagiert war, einigten sie sich darauf, dass die zehnjährige Tochter bei ihm blieb. Das Sorgerecht wollten sie gemeinsam übernehmen. Nachdem Richard mit Martina und den drei Kindern wieder eine richtige Familie gründen wollten, stellte sich Richards Ex-Frau quer. Bald nach der Heirat zitierte sie Richard vor Gericht, da sie das alleinige Sorgerecht für die gemeinsame Tochter anstrebte. "Unser Start war alles andere als entspannend", erinnert sich Richard. "Meine Ex-Frau und auch deren Eltern rüttelten ganz schön an den Grundfesten unserer neuen Familie." "Hinzu kam, dass die Kinder große Schwierigkeiten hatten, ihren Platz innerhalb der neuen Familie zu finden", ergänzt Martina. "Besonders meine Töchter hatten von Anfang an versucht, uns wieder auseinander zu bringen. Das ist heute Gott sei Dank anders, mittlerweile akzeptieren sie Richard sogar." Die Erleichterung in ihren Worten ist spürbar. Bis es aber soweit war, mussten die Eheleute einige Lektionen lernen. Richard musste lernen, dass er sich als Stiefvater nicht dieselben Rechte herausnehmen darf wie der leibliche Vater. Und Martina musste ihre Vorstellungen von ihrer Stiefmutterrolle überdenken. "Ich wollte für Richards Tochter so etwas wie ihre beste Freundin sein." Darauf hatte sich die Stieftochter aber nicht eingelassen. Irgendwann sagte sie zu ihr: "Du hast mir gar nichts zu sagen. Du bist nämlich nicht meine Mutter!" Das war hart für Martina. "Ich musste erst am eigenen Leib erfahren, dass ich ihr gegenüber keine natürliche Autorität habe." Wenn Martina zwischendurch Phasen hat, wo sie am liebsten in ihr altes, geregeltes und unkompliziertes Leben zurückgehen würde, versteht Richard sie sehr gut. Sie wissen aber beide, dass ihre Liebe groß genug ist, um auch all die künftigen Probleme überwinden zu können. Martina lehnt sich entspannt im Sessel zurück und fährt sich über den dicken Bauch. In ein paar Wochen wird ihr erstes gemeinsames Kind auf die Welt kommen. Beide wissen, dass dadurch ihre familiäre Situation keinesfalls leichter werden wird.Trennung nicht zu scharf vollziehen

Die Abgrenzung von den einstigen Familien ist das Hauptproblem der neuen Familie. Eltern dürfen die Trennung nicht zu scharf vollziehen. Sie sollten vielmehr versuchen, außerhalb der neuen Familie offen für Arrangements zu bleiben, die für die Kinder, den anderen leiblichen Elternteil und dessen Verwandte (wie Großeltern, Patentante, Patenonkel) wichtig sind. Dadurch kann eine offenkundige oder versteckte Konkurrenz zwischen einem leiblichen und einem Stief-Elternteil entschärft werden. Maria Graf stammt aus Ollmuth (Kreis Trier-Saarburg). Sie ist in der Erwachsenenbildung tätig und führt eine eigene psychologische Beratungspraxis in Schaffhausen (Schweiz).

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