Neue Schläuche, alter Wein

BERLIN. (has) Während der "lebhaften" Aussprache im Bundesvorstand versuchte Guido Westerwelle noch einmal, möglichen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen.

"Meine E-Mail-Adresse steht im Anschreiben", forderte der FDP-Chef dazu auf, nicht nur über das Strategiepapier aus der Feder des Vorsitzenden zu meckern und zu mosern. Nein, die Liberalen sollten ihm konkrete Anregungen und Änderungsvorschläge in einem "offenen Diskussionsprozess" zuschicken. "Offenheit ist bei der FDP eben nichts ungewöhnliches", meinte Westerwelle im Anschluss an die Sitzung bei einer Pressekonferenz. Nur: Bislang äußerte sie sich eher dadurch, dass sich die Führungskräfte der Partei in einer Art Intrigantenstadl gegenseitig öffentlich behakten. Jetzt heißt es auf zu neuen Ufern, Aufbruch in eine neue Gemeinsamkeit. Westerwelles 42-seitige Positionsschrift "Für die freie und faire Gesellschaft" wurde am Sonntagabend bei einem Krisentreffen mit den Spitzen der Partei debattiert. Gestern nun durfte sich der Bundesvorstand mit der programmatischen Offensive des Vorsitzenden beschäftigen. Von beiden Sitzungen berichteten zur Überraschung der meisten Beobachter die Teilnehmer, dass "außerordentlich gut und konstruktiv" diskutiert worden sei. "Prima Ergebnisse" habe man gefunden. Alles kam anscheinend auf den Tisch, auch die die "persönlichen Diffamierungen" wie die Dauer-Attacken gegen Generalsekretärin Cornelia Pieper. Und gestern stellte sich der hart kritisierte, von Strategiepapieren überhäufte Westerwelle selbst der leidigen Führungsfrage. An seinem Stil werde er nichts ändern, soll der FDP-Chef dem Gremium gesagt haben. Im Positionspapier nennt Westerwelle das übrigens "kreatives Politikmarketing" - manch einer in der liberalen Führungsetage glaubt aber nicht mehr, dass dies erfolgsversprechend ist. Mehr Klasse statt Masse sei notwendig. Soll heißen, der Parteichef müsse in den kommenden Wochen deutlich machen, wofür er stehe. Mit seinem Papier hofft Westerwelle nun, eine inhaltliche Diskussion in der FDP zu entfachen. Kernthese des Vorsitzenden ist die Abkehr vom "Verteilungsstaat" und die Gründung einer "neuen Erwirtschaftungsgesellschaft". Im Bundesvorstand wurde gestern deutlich gemacht, dass das Positionspapier "viel alten Wein in neuen Schläuchen" enthalte, eine "Richtung aber keinen Kompass" vorgebe. In der Tat, bei strittigen Themen wie der Abschaffung des Meisterbriefs oder der neuen Europa-Verfassung vermeidet Westerwelle klare Ansagen. Einig war man sich allerdings, der Vorsitzende habe nun die Chance, die Partei endlich "zu platzieren". Die Lösung eines liberalen Grundproblems ist das aber nicht unbedingt: "Die Leute haben kein Vertrauen untereinander", so ein führender FDP'ler.

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