Neuer Koalitionszoff

BERLIN. Die geplante Reform des Niedriglohnsektors sorgt für Zoff in der großen Koalition. Schon bei ihrer Klausurtagung vor einer Woche im brandenburgischen Werder waren die Fraktionsspitzen von Union und SPD hier keinen Millimeter vorangekommen. Beim Treffen des Koalitionsausschusses heute in Berlin dürfte der Streit um ein weiteres Kapitel bereichert werden.

Denn Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) hat noch einmal nachgelegt: Er werde in der Sitzung vorschlagen, "dass die Arbeit beginnt im Bereich des tariflichen Mindestlohns". Schon der Begriff löst in der Union Abwehr-Reflexe aus. Ebenso wie die Arbeitgeber fürchten die Unionspolitiker einen Wegfall tausender Arbeitsplätze - oder aber ihre massenhafte Verlagerung ins Ausland. Entsendegesetz dient als Vehikel

Dagegen will die SPD "sittenwidrig niedrige Löhne" (Müntefering) mit allen politischen Mitteln bekämpfen. Bereits im Vorjahr vereinbarten die Genossen deshalb mit den Gewerkschaften, dass die Tarifparteien versuchen sollen, branchenbezogene Mindestlöhne festzulegen. Als Vehikel dient das "Arbeitnehmer-Entsendegesetz", das eigentlich vor ausländischer Billigkonkurrenz schützen soll, aber nach Vorstellungen der SPD auf alle Wirtschaftszweige ausgedehnt werden könnte. Bislang wird dieses Gesetz im Bausektor angewendet. Als politisches Zugeständnis der Union ist bereits die Einbeziehung des Gebäudereinigerhandwerks verabredet. In einem nächsten Schritt will Müntefering die Bestimmungen nun auf Zeitarbeiter und Postdienstleistungen ausweiten. Da war es auch kein Zufall, dass vor wenigen Tagen eine Untersuchung bekannt wurde, nach der private Briefdienstleistungen in Deutschland besonders schlecht entlohnt werden. Zum Teil liegt die Vergütung nur bei vier Euro pro Stunde. Und die Gewerkschaft Verdi befürchtet eine weitere Verstärkung des Trends "zu Lohndumping und prekären Beschäftigungsverhältnissen". Denn ab 2008 sollen alle Wettbewerbsschranken im Postsektor fallen. Zu den größten Gegnern von Lohnuntergrenzen zählt Münteferings Kabinettskollege Michael Glos (CSU). Der Wirtschaftsminister ließ ein Positionspapier verbreiten, in dem Mindestlöhne "gegenwärtig für keine Branche" als notwendig erachtet werden. Die Vorlage verweist dazu auf den Koalitionsvertrag, der für die Anwendung des Entsendegesetzes auf weitere Berufsgruppen zwei Bedingungen nennt: Zum einen müssten "unerwünschte soziale Verwerfungen" durch hier zu Lande tätige Ausländer nachgewiesen werden. Und zum anderen müssten allgemein verbindliche Tarifverträge vorliegen. Beides ist aus Sicht des Wirtschaftsministeriums für keine weitere Branche erfüllt. Als potenzielle Anwärter gelten neben Zeitarbeitern das Sicherheits- und Gaststättengewerbe sowie Fleischer und Friseure, die in Ostdeutschland teilweise kaum mehr als drei Euro pro Stunde verdienen. Anders als Glos plädiert der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Ralf Brauksiepe, deshalb für eine weitere Prüfung solcher Kandidaten. "Unsere Aufgabe in der großen Koalition ist es, die unterschiedlichen Einschätzungen der Ministerien zusammenzubringen", sagte er gestern unserer Zeitung. "Klar ist aber, dass nicht die gesamte deutsche Wirtschaft ins Entsendegesetz aufgenommen werden kann, wie es der SPD-Gewerkschaftsrat will", meinte er ebenfalls unter Verweis auf den Koalitionsvertrag. Demnach gehe es nur um eine "Einzelfallprüfung". Es sei unvorstellbar, dass sich etwa soziale Verwerfungen in jeder Branche nachweisen ließen, betonte Brauksiepe. Arbeitsminister Müntefering bekräftigte derweil noch einmal seine gegenteilige Sicht: Es sei geboten, "am Arbeitsmarkt insgesamt zu einer Regelung zu kommen, die Mindesthöhen festlegt".

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