Neuer Streit um Mindestlohn

BERLIN. Mit dem jüngsten Stufenmodell der SPD zur Einführung von flächendeckenden Mindestlöhnen bahnt sich ein neuer Streit in der großen Koalition an. "Die Union lehnt einen gesetzlich festgelegten einheitlichen Mindestlohn ab", sagte der CDU-Arbeitsmarktexperte Ralf Brauksiepe unserer Zeitung.

Auch CSU-Generalsekretär Markus Söder warnte die Sozialdemokraten vor Alleingängen. Einen gesetzlichen Mindestlohn werde es mit den Christsozialen nicht geben, weil er "tausende von Arbeitsplätzen" koste. Die SPD hatte sich mit den Gewerkschaften darauf verständigt, dass zunächst die Tarifparteien versuchen sollen, Mindestlöhne für ihre Branche festzulegen. Dafür wollen die Genossen das "Arbeitnehmer-Entsendegesetz", welches eigentlich vor ausländischer Billigkonkurrenz schützen soll, auf alle Wirtschaftsbereiche ausdehnen. Falls keine Einigung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaftern zu Stande kommt oder eine Abmachung kaum Wirkung entfaltet, werde in einem zweiten Schritt "ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn eingeführt", heißt es im SPD-Konzept. Auf die Angabe konkreter Zahlbeträge wurde verzichtet. Nach dem Vorbild Großbritanniens soll eine unabhängige Kommission der Regierung entsprechende Vorschläge unterbreiten. In Großbritannien liegt der Mindestlohn bei umgerechnet 7,36 Euro. Brauksiepe verwies auf die Koalitionsvereinbarung, nach der eine Ausdehnung des für die Baubranche geschaffenen Entsendegesetzes nur dann in Frage kommt, wenn "unerwünschte soziale Verwerfungen durch Entsendearbeitnehmer nachgewiesen werden". Vor wenigen Wochen hatte das Bundeskabinett deshalb auch einen Mindestlohn für Gebäudereiniger bestimmt. In Westdeutschland liegt er bei 7,87 Euro pro Stunde, im Osten bei 6,36 Euro. "Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sich solche soziale Verwerfungen in jeder Branche nachweisen lassen", erklärte Brauksiepe. Daher sei es auch unmöglich, alle Wirtschaftszweige nach dem Entsendegesetz zu behandeln. Offenbar diene der SPD-Vorstoß "nur zur Beruhigung der eigenen Klientel". Dagegen hatte Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) gestern noch einmal betont, er setze auf tariflich vereinbarte Mindestlöhne, die "durch Verordnungen im Rahmen des Entsendegesetzes für allgemeinverbindlich erklärt" würden. Kritik an den Plänen kam auch vom Hallenser Institut für Wirtschaftsforschung (IWH). "Mindestlöhne sind Gift für die Wirtschaft", meinte IWH-Arbeitsmarktexperte Herbert Buscher. Allein in den neuen Bundesländern seien 60 Prozent der Betriebe nicht tariflich gebunden. "Wer soll da miteinander verhandeln?" Im Ergebnis käme es zu staatlich festgesetzten Löhnen, die wegen ihrer Höhe nicht mehr marktfähig seien und gerade gering Qualifizierte benachteiligten. Nach Berechnungen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) würde ein Mindestlohn in Höhe von beispielsweise acht Euro bedeuten, dass rund zwei Millionen Arbeitnehmern mehr Geld als bisher zustünde. In den neuen Ländern wäre jeder fünfte Arbeitnehmer betroffen. Wie viele Jobs dann verschwinden würden, konnte das IAB nicht beziffern. Die SPD versteht ihr Konzept als Beratungsgrundlage für die im November geplante Neuregelung des Niedriglohnsektors. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Partei, Klaus Brandner, geht davon aus, dass sich der Koalitionspartner noch bewegt. "Ich baue auf die Einsicht der Union". KOMMENTAR

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