Neun Stimmen und der Gatte fehlen

Komfortable Mehrheit für Angela Merkel: Gestern ist die CDU-Chefin vom Parlament zum zweiten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt worden. Auch für etliche ihrer Minister - allen voran Guido Westerwelle (FDP) - war der Mittwoch ein großer Tag.

Berlin. Alle geben sich irgendwie ziviler als sonst. Lockerer. Die künftigen Minister sind noch Parlamentarier. Die Opposition ist noch nicht richtig Opposition und die Regierung noch nicht richtig Regierung. Auch die Kanzlerin ist am Mittwoch zunächst nur die "Abgeordnete Dr. Angela Merkel", die, so liest es Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) vor, der Bundespräsident zur Wiederwahl vorgeschlagen hat. Lammert ist mal wieder spaßig drauf und sagt in den einsetzenden Beifall: "Eine besondere Überraschung scheint das ja nicht auszulösen." Nein, an diesem Tag gibt es keine Überraschungen. Die Kanzlermehrheit steht. Nicht hundertprozentig, aber solide.

Namentlich werden alle 622 Abgeordneten aufgerufen. 612 geben ihre Stimmen ab. Dann, nach einer Sitzungspause, wird das Ergebnis bekanntgegeben. Die eine Hälfte des Hauses, Union und FDP, klatscht. Die Opposition schweigt. Herausforderer Frank-Walter Steinmeier gratuliert immerhin artig als einer der Ersten, ehe er wieder zurück in seinen dezimierten SPD-Block geht, der den ganzen Tag wie paralysiert wirkt. Oskar Lafontaine gratuliert nicht, er macht weiter Urlaub.

Dann ist Pause, denn die Kanzlerin bekommt ihre Ernennungsurkunde drüben im Schloss Bellevue vom Bundespräsidenten überreicht, ehe es im Bundestag mit ihrer Vereidigung weitergeht. Danach ist wieder Pause, denn jetzt fährt Merkel mit ihren künftigen Ministern wieder ins Schloss Bellevue, damit die ernannt werden können. Und anschließend zurück in den Reichstag, auf dass jeder Minister einzeln seinen Eid sprechen kann. Ausnahmslos alle legen ihn mit dem religiösen Zusatz ab: "So wahr mir Gott helfe". Das gab es sehr lange nicht mehr.

Die ganze Wahl- und Vereidigungsprozedur dauert fünf Stunden. Das jüngste der sieben Von-der-Leyen-Kinder hüpft auf der Gästetribüne des Bundestages herum, weil ihm langweilig ist. Die Ramsauer-Töchter, fesch im Dirndl, machen artig Knickse, wenn sie vorgestellt werden, und knipsen ein wenig herum. Guttenbergs Kinder wollen eine Cola aus der Cafeteria. Doch der Papa muss sich erst mal Geld leihen. Familientag im Parlament. In der ersten Reihe sitzen Angela Merkels Eltern und verfolgen das Geschehen konzentriert. Der neue Wirtschaftsminister Rainer Brüderle winkt mit der blauen Ernennungsurkunde zu seiner Frau hoch, wie mit einer Trophäe. Das Ehepaar Rösler, dessen männlicher Teil Gesundheitsminister wird, hält sich, kurz bevor es zur Ernennung geht, so eng umschlungen, als müsse es sich nun für lange Zeit trennen. Es ist einer der wichtigsten Tage der Politik, aber kein Tag für Politik. SPD und Grüne versuchen es trotzdem. Steinmeier und Grünen-Fraktionschefin Renate Künast gehen vor die Presse. "Unerhört" und "ein ganz schlechter Stil" sei es, dass die Kanzlerin ihre politischen Vorhaben nicht in einer Regierungserklärung erläutere, sondern abreise Richtung EU-Gipfel und dann nach Washington, schimpfen beide. Steinmeier findet zudem, dass Merkel einen "Fehlstart" hingelegt habe, weil ihr neun Stimmen aus dem eigenen Lager fehlen. Diese Behauptung lässt sich zwar nicht beweisen, hat aber einige Plausibilität, weil CDU/CSU und FDP-Fraktion offiziell vollzählig anwesend sind und Merkel also 332 Stimmen hätte kriegen müssen, statt nur 323. Die vier Enthaltungen sind also offenbar schwarz-gelber Natur, ebenso womöglich einige der 285 Nein-Stimmen. Später meldet die "Hannoversche Allgemeine Zeitung", womöglich hätten mehrere ostdeutsche CDU-Abgeordnete Merkel die Stimme verweigert - als Reaktion auf die mangelnde Vertretung von Ostdeutschen in der Regierung.

Guido Westerwelle merkt man am meisten an, wie groß dieser Tag für ihn ist. Endlich am Ziel, nach so vielen Jahren der Opposition. Nach Merkels Wahl klatscht Westerwelle Unions-Fraktionschef Volker Kauder ab wie einen Sportler. Und dann schaut er sich die feiernde Szenerie ganz entrückt an. Sein Blick geht nach oben zu Michael Mronz, seinem Lebensgefährten, der auf der Ehrentribüne sitzt. Merkel blickt nicht nach oben. Ihr Ehemann Joachim Sauer fehlt, wie schon vor vier Jahren. Er wäre, sagt einer der Kanzler-Berater, hier doch nur als "Affe im Käfig" abgelichtet worden, und das möge er nun einmal nicht. Unmittelbar nach ihrer Vereidigung nimmt Angela Merkel auf der Regierungsbank Platz und lässt sich beklatschen. Ganz allein sitzt sie da. In diesem Moment des Glücks liegt auch etwas Einsames. Die Einsamkeit des Amtes. Aber Angela Merkel blickt ziemlich frohgemut.

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