Nicht einer, sondern viele Saddams

BAGDAD. (dpa) Wenn sich heute der Vorhang zum Prozess gegen Saddam Hussein hebt, dann wird das im Irak kaum eine befreiende Wirkung auslösen. Nach zweieinhalb Jahren US-Besatzung ist der Alltag der Iraker immer noch ein quälender Albtraum, in dem Angst vor Kriminalität und Terror sowie Mangel an Elektrizität und Benzin unaufhörlich die Hauptrollen spielen.

Die Erinnerung an die Furcht, die die Menschen einst vor dem grausamen Diktator, seinen blutrünstigen Schergen und allgegenwärtigen Spitzeln hatte, verblasst angesichts des täglichen Überlebenskampfes zusehends. Nur jene, denen der Terror des alten Regimes Menschen geraubt hat, haben das Bedürfnis, den verhassten Despoten möglichst bald und möglichst hart bestraft zu sehen. "Mein Onkel ist abgeholt und umgebracht worden", berichtet der Transportunternehmer Mohammed Dschassim, Schiit aus Bagdad. "Man verdächtigte ihn, Mitglied der (oppositionell-islamistischen) Dawa-Partei gewesen zu sein, aber er war es nicht." Die Todesstrafe, die dem Urheber des Horrors nun droht, hält Dschassim für "zu gnädig". "Er sollte im Gefängnis verrotten, um einen Bruchteil der Qualen zu erfahren, die er anderen zugefügt hat." In der kilometerlangen Schlange vor der Tankstelle in der Sadun- Straße in der Mitte von Bagdad ist Saddam hingegen kein Thema. Die Männer in ihren rostigen, verschrammten Autos interessiert nur, ob der Tankwagen kommt. Auch der Mangel organisiert sich nach den Gesetzen der Marktwirtschaft: Wer Geld hat, kauft das Benzin zu einem weitaus höheren Preis von einem der Männer, die kein Geld, dafür aber die Zeit haben, sich stunden- oder tagelang vor der Tankstelle anzustellen. Die Frage nach Saddam trifft hier auf gelangweiltes Schweigen. "Natürlich bekommt er einen "fairen" Prozess", feixt ein 44-Jähriger aus dem sunnitischen Balad, der sich Abu Sabah nennt. Die Sunniten fühlen sich in der Defensive. Sie glauben, unter Generalverdacht zu stehen, weil auch Saddam ein Sunnit ist. "Wenn ihm die Verbrechen nachgewiesen werden können, die er begangen haben soll, dann soll er auch zur Rechenschaft gezogen werden", meint Reisebürobesitzer Abu Said. "Aber um ehrlich zu sein, für mich hat dieser Prozess derzeit keine Bedeutung." Ihn treibe vielmehr um, wie er seine Familie sicher und mit einem einigermaßen würdigen Lebensstandard durch die schwierige Zeit bringen könne. "Denn heute", sagt er, mit gequältem Lächeln auf die allgegenwärtige Gewalt und Willkür anspielend, "haben wir nicht einen, sondern viele Saddams."

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