Nur durch Zufall überlebt

Das Jugendamt war alarmiert, doch trotz professioneller Hilfe konnte nicht verhindert werden, dass ein Baby in Bitburg brutal misshandelt wurde. Nur durch Zufall hat das Mädchen überlebt.

Bitburg. Man habe alles getan, was möglich sei. Es klingt fast wie eine Entschuldigung, wenn Stephan Schmitz-Wenzel schildert, was das ihm unterstellte Jugendamt der Bitburg-Prümer Kreisverwaltung unternommen hat, um dem sechs Monate alten Baby zu helfen. Doch offenbar hat die professionelle Hilfe nicht ausgereicht, um das Mädchen zu schützen. Nur durch Zufall, so der Leitende Oberstaatsanwalt Horst Roos, lebt die Kleine heute noch. Die gebrochenen Rippen, die am 14. Februar im Trierer Mutterhaus bei dem Baby festgestellt wurden, hätten auch Herz oder Lunge des Mädchens durchbohren können - es wäre höchstwahrscheinlich daran gestorben.Amt hielt Probleme für "nicht so gravierend"

Bereits das Schütteltrauma, das exakt einen Monat zuvor diagnostiziert worden war, hätte laut Roos tödlich sein können. Für die Ärzte im Mutterhaus war offenbar von Anfang an klar, dass das Mädchen misshandelt worden ist. Das Jugendamt wurde informiert. Wie immer in solchen Fällen, erläutert Krankenhaussprecherin Bettina Leuchtenberg. Bestehe der Verdacht auf Misshandlung, kümmere sich direkt ein Klinik-Team aus Kinderärzten, Psychiatern, Psychologen und dem Sozialdienst um die Betreuung des Kindes und der Familie. Beim Jugendamt hielt man die Erklärung des Vaters, der getrennt von der 19-jährigen Mutter lebt und ab und zu auf das Kind aufpasste, er habe das Kind geschüttelt, weil er es leblos aufgefunden habe, für plausibel, wie Schmitz-Wenzel sagt. Neben dem Schütteltrauma wurden allerdings auch Blutergüsse am Kopf und ein Brandfleck an der Hand festgestellt. Man habe beim Besuch der Mutter die Probleme als "nicht so gravierend" gesehen, sagt der Geschäftsbereichsleiter der Kreisverwaltung. "Wir sehen ja nicht gleich in jeder Familie Kindesmisshandler." Das Jugendamt stellte eine sozialpädagogische Familienhilfe. Trotzdem kam es anscheinend weiter zu schlimmen Misshandlungen, die zu den schweren Knochenbrüchen führen. Die Erklärung des 32-jährigen Vaters, das Baby sei auf den Boden gefallen, als er es im Spiel in die Luft geworfen habe, klingt für Roos wenig überzeugend. Der Vater habe das Kind mit "brachialer Gewalt" gequält und schwer verletzt. Das Jugendamt erwirkte Mitte Februar einen Beschluss des Bitburger Amtsgerichts. Das Baby wurde der Mutter weggenommen, kam in eine Pflegefamilie. Die Großmutter des Kindes, die den Vater angezeigt hat und damit die Ermittlungen ins Laufen brachte, hat gegen die Jugendamtsentscheidung Widerspruch eingelegt, bestätigt Schmitz-Wenzel. Nächste Woche wird das Oberlandesgericht in Koblenz entscheiden, ob das Mädchen zu seiner Mutter zurück darf. "Wir werden uns auf jeden Fall an die Entscheidung halten", sagt Schmitz-Wenzel. Meinung Es geht um das Kind Hätte die Misshandlung des Bitburger Babys verhindert werden können? Wie immer nach solchen Taten stellt sich diese Frage. Doch an dem Fall aus der Eifel zeigt sich, wie schwierig es für Jugendämter ist, richtig zu reagieren. Nach dem ersten Hinweis aus dem Trierer Mutterhaus auf Misshandlung ist man in der Bitburg-Prümer Kreisverwaltung aktiv geworden, hat Mutter und Kind eine Hilfe zur Seite gestellt. Doch offenbar hat man die Vorwürfe nicht ernst genug genommen. Man hielt die Erklärung, das fast tödliche Schütteltrauma sei durch Wiederbelegungsversuche entstanden, für plausibel. Und das, obwohl Brandfleck und Blutergüsse zusätzlich auf Misshandlung hindeuteten. Es macht zumindest stutzig, dass die professionellen Helfer damals nicht misstrauisch geworden und den Vorwürfen nicht weiter nachgegangen sind. Jedenfalls konnte trotz der Unterstützung des Jugendamtes nicht verhindert werden, dass die Kleine weitere unsägliche Qualen erleiden musste. Nach der erneuten Misshandlung, die das Baby wieder nur mit viel Glück überlebt hat, blieb dem Jugendamt dann keine andere Wahl mehr, als das Kind aus der Familie herauszunehmen - so hart das auch für die Mutter sein mag. Aber es geht dabei nicht um die Bestrafung von Eltern - dafür sind Gerichte da -, es geht um den Schutz des Kindes. Erst muss feststehen, wer Schuld und Mitschuld an den brutalen Misshandlungen hat, und es muss sichergestellt sein, dass das Kind in seiner Familie nicht mehr leiden muss. b.wientjes@volksfreund.de

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