"Nur nichts Unüberlegtes machen"

Trier · Der China-Experte sagt, warum eigentlich niemand will, dass Nordkorea zusammenbricht.

 Lebt seit über 20 Jahren in China: Frank Sieren.Foto: privat

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Trier Die Spannungen zwischen den USA und Nordkorea dauern an. US-Präsident Donald Trump betonte am Freitag erneut die Gefahr einer Eskalation. Der deutsche China-Experte Frank Sieren warnt die USA im Interview mit unserer Zeitung vor unüberlegten Schritten.Herr Sieren, wie wird in China derzeit das Thema Nordkorea diskutiert?Sieren Es ist schon ein ärgerliches Thema, weil Kim Jong Un schon seinen eigenen Kopf hat und es China gar nicht so möglich ist, wie es von außen den Anschein hat, auf Nordkorea Einfluss zu nehmen. Das macht es relativ schwierig. Offenbar hat inzwischen auch die neue amerikanische Regierung gemerkt, dass es eben nicht so ist, dass China nur etwas zu sagen braucht und schon gehorcht Nordkorea.Der amerikanische Außenminister sagt, dass China Nordkorea für den Fall weiterer Atomwaffentests mit Sanktionen gedroht habe. Inwiefern halten Sie das für plausibel?Sieren Das ist durchaus plausibel, weil es dabei zunächst einmal nicht um die Art der Sanktionen geht. Man kann ein, zwei Konten sperren oder Nordkorea von der Außenwelt abtrennen, um zwei Extreme zu nennen. Fakt ist aber, und das wird auch weiter so bleiben: Weder Chinesen noch Russen oder Südkoreaner haben ein Interesse daran, dass Nordkorea zusammenbricht. Insofern ist man immer in der Schwierigkeit, Druck auszuüben, aber eben nicht zu viel. Bräche das System zusammen, gäbe es eine viel schlimmere Situation, als wir sie derzeit haben.Ist das der Grund, warum China Nordkorea den Rücken stärkt?Sieren Es gibt zwei Gründe. Zum einen hat man inzwischen in vielen Ländern die Erfahrung gemacht, dass "regime change", also ein Regimewechsel, nicht alles zum Besseren wendet - siehe Libyen, Irak oder Syrien. Von daher ist man vorsichtig und will vor seiner Haustüre keine unkontrollierbare Situation haben. Der zweite Grund ist ein genauso handfester. Wenn Nordkorea in sich zusammenbräche, dann gäbe es eine Art Wiedervereinigung. Dies würde aber auch bedeuten, dass amerikanische Truppen bis an die chinesische Grenze vorrücken könnten. Das möchten weder die Chinesen noch die Russen. Von daher haben eigentlich alle ein Interesse, dass Nordkorea bleibt.Und was ist der Grund für das im Augenblick besonders laute Säbelrasseln des nordkoreanischen Diktators?Sieren Das hat mit den Tönen zu tun, die derzeit aus Amerika kommen. Und mit der Unberechenbarkeit des neuen amerikanischen Präsidenten. Da sagt Kim Jong Un mit seinen Raketenversuchen: Freunde, passt auf, so einfach ist das nicht mit mir! Das ist eigentlich das ganze Spiel. Das sah vor zwei, drei Wochen noch riskanter aus. Inzwischen hat man den Eindruck, dass die amerikanische Regierung die Komplexität des Themas erkannt hat. Und mit den Wahlen in Südkorea am 9. Mai wird sich die Lage wohl noch mal ändern. Denn so, wie es aussieht, wird dann eine Regierung an die Macht kommen, die eher für Verhandlungen mit Nordkorea ist, also die alte "Sunshine-Politik" wieder aufnehmen wird. Diese Regierung wird eher den Kurs der Chinesen als den der Amerikaner vertreten.Auch wenn es aktuell nicht so aussieht, klingt dies so, als stünden die Zeichen eher auf Deeskalation …Sieren Das sieht ganz so aus, wenn nicht die Amerikaner irgendetwas Unüberlegtes machen. Ich glaube das zwar nicht, aber es ist auch nicht völlig ausgeschlossen. Die Situation in Nordkorea ist eine ganz andere als in Syrien: Selbst wenn es den Amerikanern gelänge, die ein oder andere Raketenstation auszuschalten, wäre Kim Jong Un immer noch in der Lage, Seoul anzugreifen. Und entsprechend groß wäre das Risiko, dass da irgendetwas aus dem Ruder läuft. Rolf SeydewitzInterview Frank SierenExtra: CHINA-KENNER UND BESTSELLERAUTOR

Frank Sieren gilt als einer der profiliertesten China-Kenner Deutschlands. Der 50-jährige gebürtige Saarbrücker hat in Trier studiert und lebt seit Anfang der 1990er Jahre in China. Sieren hat mehrere Bestseller über das Land geschrieben und für das Fernsehen mehrere Dokumentationen gedreht.

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