Obamas neues Leben

Chicago · Neulich, als er in Chicago das Modell seiner Präsidentenbibliothek vorstellte, lief Barack Obama zu Hochform auf. Einmal mehr ließ er erkennen, warum ein Altmeister der Fernsehsatire wie Dave Letterman glaubt, dieser coole Typ hätte es auch in der Comedy-Branche zu etwas gebracht.

Eigentlich sollte ein computermausgesteuerter Zeiger von einem Highlight des geplanten Bibliotheksensembles zum nächsten wandern, aber die Technik versagte, sodass Obama einspringen musste, was er mit humorvoller Geistesgegenwart tat. Er sei zwar nicht mehr Commander-in-Chief, dafür aber der kommandierende Zeigefinger, witzelte er, während seine Hand den Computerpfeil ersetzte.

Kein Zweifel, es läuft gerade ziemlich gut für Barack Obama. Je kürzer die Abstände werden, in denen Donald Trump von Krise zu Krise schlittert, umso mehr ist der Ex-Präsident als Figur des öffentlichen Lebens gefragt. In dieser Rolle hat er sich drei Monate lang auffällig zurückgehalten. Obama hat ausgiebig Urlaub gemacht, in der Südsee, in der Karibik. Er hat damit begonnen, so erzählen es Freunde, über den roten Faden seiner Memoiren nachzudenken, für die er, im Doppelpack mit einem Band seiner Frau Michelle, 65 Millionen Dollar bekommt.

Im September, so viel ist schon jetzt durchgesickert, wird er für eine Rede bei Cantor Fitzgerald 400 000 Dollar kassieren, mehr, als Hillary Clinton für einen jener Vorträge bei der Investmentbank Goldman Sachs nahm, die sie später im Wahlkampf so belasteten. Das Finanzhaus Cantor Fitzgerald wurde bekannt, weil es seine Büros einst im World Trade Center hatte und bei den Terroranschlägen am 11. September 2001 einen großen Teil seiner Belegschaft verlor.

Obama wird viel Geld verdienen, darin ähnelt er Bill Clinton oder dem britischen Altpremier Tony Blair. Er glaube nicht, dass er sich dafür entschuldigen müsse, verlautet aus seinem Umfeld. Die acht Jahre im Oval Office seien aufreibend genug gewesen, um sich nicht eine Belohnung zu gönnen. Anfang Mai meldete er sich - unbezahlt - auf der politischen Bühne zurück, mit einer Rede in Boston, der bald darauf ein Auftritt in Mailand folgte. Am Donnerstag (25. Mai - F.H.) wird er beim Evangelischen Kirchentag mit Angela Merkel diskutieren, passenderweise vorm Brandenburger Tor, an dem sie den umjubelten Hoffnungsträger einst nicht reden lassen wollte.

Obama sei dabei, seine Rolle zu finden, meint Marty Nesbitt, ein Parkplatzunternehmer aus Chicago, der seinem Freund schon mit Rat und Tat zur Seite stand, als der noch im Bundesstaatensenat von Illinois saß, und der nun seine Stiftung leitet. "Es ist wie mit einem neuen Instrument: Wie spielst du darauf? Man muss es erst lernen. Aber wir wissen, welche Musik wir spielen wollen."

Eines wolle er bestimmt nicht sein, betonen Vertraute wie Nesbitt, nämlich eine Art Oppositionsführer. Dazu sei er sich der Nachwuchsprobleme bei den Demokraten viel zu schmerzlich bewusst. Weit und breit ist dort kein neuer Barack Obama in Sicht, was sich ändern kann, mitunter rasch, wie die Erfahrung amerikanischer Politik mit all ihren Senkrechtstartern, all ihren Originalen und Querdenkern lehrt. Niemand könne Interesse daran haben, wenn Obama das Gesicht des Widerstands werde, zitiert das Magazin Politico seinen Berater Eric Schultz. "Wenn ein ehemaliger Präsident spricht, saugt er viel Sauerstoff aus dem Raum. Das könnte verhindern, dass eine neue Generation politischer Führungskräfte heranwächst."

Anfangs hielt sich der 55-Jährige eisern an die ungeschriebene Regel, nach der Altpräsidenten die Politik ihres Nachfolgers nicht kommentieren. Seither ist das Verhältnis zu Donald Trump, milde gesagt, nicht besser geworden. Hatten beide bis zur Amtsübergabe noch regelmäßig telefoniert, so herrscht seit dem 20. Januar offenbar bilaterales Schweigen. Zunächst sah es so aus, als übertrumpfe Obamas Wunsch, geradezu vorbildlich den friedlichen Übergang der Macht zu exerzieren, auch wenn einem das Wahlergebnis nicht passt, jegliche Versuchung inhaltlicher Kritik. Wie er die Lernfähigkeit des 70 Jahre alten Bauunternehmers beschwor, das klang so freundlich, dass es seine Anhänger, die natürlich zugleich Trump-Kritiker sind, schon ein wenig überraschte. Inzwischen sind neue Töne zu hören, allerdings noch ausgesprochen dezent. Vorerst hat es den Anschein, als konzentriere er sich darauf, die eine oder andere Ehrenrunde mit den verdientesten Köpfen seiner Administration zu drehen.

Zu beobachten war das vor gut zwei Wochen in Boston, wo ihm Caroline Kennedy, die Tochter John F. Kennedys, den "Profile in Courage Award" überreichte, einen Preis, der auf eine Biografiensammlung zurückgeht, für die JFK den Pulitzerpreis erhielt. Joe Biden war da, 75, bis Januar sein Stellvertreter. Neben ihm saß John Kerry, 73, bis Januar Außenminister. Nachwuchshoffnungen spielten keine Rolle, einmal abgesehen von Jack Schlossberg, 24, dem Sohn Caroline Kennedys, der launig anmerkte, hätte es nicht die von Obama entfachte Aufbruchsstimmung gegeben, säße er heute vielleicht immer noch Burritos mampfend auf seiner Couch.

Den Namen Trump nannte der Geehrte in Boston nicht ein einziges Mal. Dennoch war klar, wen er meinte, als er von der zur Entscheidung anstehenden Gesundheitsnovelle sprach, die fast alles rückgängig macht, was er mit seiner Reform angeschoben hatte. "Ich hoffe, im Kongress gibt es noch Republikaner, die sich die Fakten anschauen und sich an die Wahrheit halten, selbst wenn es der Position ihrer Partei widerspricht", sagte Obama. Es klang wie: Habt den Mut, euch gegen eure Regierung zu stellen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort