Oben in der einsamen Trutzburg

Er wäre als Bundespräsident ein Glücksfall gewesen, hat sein Freund Hans-Peter Repnik einmal gesagt. Vor wenigen Jahren haben das die meisten Deutschen ebenso gesehen. Heute wird Wolfgang Schäuble 65 Jahre alt - und an seiner Amtsführung als Innenminister scheiden sich die Geister.

Berlin. Inzwischen ist es Journalistenbrauch, Wolfgang Schäuble zu interviewen, wenn man eine politische Bombe hochgehen lassen möchte. Eine Atombombe war es an diesem Wochenende. Genauer gesagt Schäubles Satz, dass Terroristen "einen Anschlag mit nuklearem Material vorbereiten könnten". Er wurde missverstanden, wieder einmal.In Sachen Taktik den anderen unterlegen

Wolfgang Schäuble war der "Wäre-ein-Glücksfall"-Mann der deutschen Politik. Der ewig gelinkte ewige Kandidat. Zuerst gelinkt von Helmut Kohl, der ihn zum Kanzler-Kronprinzen ausrief und dann schmoren ließ, bis die Mehrheit weg war. Anschließend von Angela Merkel, die sich mit Edmund Stoiber und Guido Westerwelle gegen ihn und für Horst Köhler als Bundespräsident verabredete. Die nächste Möglichkeit, die Nachfolge Horst Köhlers, ist auch schon wieder entschieden. Das wird wieder Horst Köhler. In Sachen Taktik, wohl auch in puncto Kaltschnäuzigkeit, war Wolfgang Schäuble den anderen stets unterlegen. Der gebürtige Freiburger ist seit Kohl und Weizsäcker der Einzige in der Union, der die Werte der Partei nicht nur verkörpert, sondern auch formulieren kann. Die europäische Einigung, einen gesunden Nationalstolz, Toleranz. Seine Rede für Berlin als Hauptstadt war grandios. Da saß er schon im Rollstuhl. Er wollte nach dem Attentat vom 12. Oktober 1990 das Leben wieder bei den Hörnern packen. Es wurde seine beste Zeit. Schäuble dachte über die Modernisierung der Gesellschaft nach, im Schatten Kohls. Er sammelte eine Schar junger reformorientierter Abgeordneter um sich.Viele in der Koalition sind irritiert

Dann kam im Jahr 2000 die Spendenaffäre und seine Lüge im Bundestag. Angela Merkel hatte sich da schon positioniert. Und übernahm sofort den Parteivorsitz. Schäuble war im Abseits. Der heutige Bundesinnenminister ist ein anderer Wolfgang Schäuble. Ein unruhiger, manchmal besessener. "Man kann darüber nachdenken, ob die Art, wie die Vorschläge kommen - vor allem in einer Art Stakkato, ob das so optimal ist", sagte Horst Köhler im Sommer. Das war ein beispielloser Rüffel. Eine ganze Fußball-WM lang störte der Minister die Stimmung mit seiner Forderung nach einem Einsatz der Bundeswehr im Innern. Und nun überschlagen sich seine Vorschläge zur Anti-Terror-Bekämpfung. Schäuble sorgt für viel Ärger. Und bewegt wenig. Viele in der Koalition sind irritiert. Das Berliner Innenministerium befindet sich etwas außerhalb des eigentlichen Regierungsviertels. Wie eine Trutzburg liegt es an der Spree. Wolfgang Schäubles Büro ist ganz oben und hat eine große Glasfront. Von dort kann man gut das Präsidialamt sehen, gleich dahinter das Kanzleramt. Beide Gebäude liegen zum Greifen nah. Und sind für Wolfgang Schäuble doch unendlich weit weg.

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