Offene Wunde Irak

WASHINGTON. Er gilt als "wählbar" und als der ernstzunehmendste Herausforderer von US-Präsident George W. Bush. In einem Erdrutsch-Sieg sicherte sich Senator John Kerry fünf weitere Bundesstaaten.

Für James Carville, den früheren Berater Bill Clinton und einen der besten Kenner der demokratischen Parteiszene, ist das Rennen bereits gelaufen: "Kerry wird als Präsident nominiert, Edwards als sein Vize", prophezeite Carville am Dienstag gegen Mitternacht, als ein weiterer Erdrutsch-Sieg von John Kerry feststand: Fünf Staaten - Arizona, Missouri, Delaware, New Mexico und North Dakota - gewinnt der Senator an diesem "Super Dienstag" nach seinen früheren Erfolgen in Iowa und New Hampshire. Zwar halten sich die Mitbewerber John Edwards und der frühere Nato-Viersterne-General Wesley Clark durch ihre Siege in South Carolina und Oklahoma die Chance auf einen Gesamterfolg weiter offen, doch für Kerry steht es nun in der Gesamtrechnung neun zu zwei - und ein weiterer Konkurrent hat das Handtuch geworfen: Joe Lieberman, der im Jahr 2000 neben Al Gore als Vizepräsident kandidiert hatte, ist einer der großen Verlierer dieses Vorwahl-Abends. Als solchen muß man auch Howard Dean bezeichnen, den früheren Gouverneur Vermonts. Die Kandidatur des einstigen Umfrage-Favoriten, der seine Unterstützer vor allem durch eine gewaltige Internet-Kampagne mobilisierte, scheint nun zu platzen wie früher die Träume tausender Dotcom-Investoren. Kerry kann also mit besten Chancen dem weiteren Verlauf des Vorwahl-Marathons entgegen sehen, und wenn einer der noch im Rennen befindlichen Mitbewerber sich ins Rampenlicht stellen will, muß er dass spätestens am nächsten "Super-Dienstag", dem 2. März, tun. Dann werden nämlich an einem einzigen Tag 1151 Delegiertenstimmen (2161 benötigt ein Kandidat für den Gesamtsieg) vergeben, und an diesem Tag könnte der grauhaarige Senator aus Massachusetts sich dann uneinholbar von der Konkurrenz distanzieren - zumal er immer noch letzten Umfragen zufolge als besonders "wählbar" gilt und George W. Bush sogar schlagen könnte, wenn in dieser Woche der Präsident gewählt würde. Doch der Kriegsveteran Kerry, in Vietnam mit vier Orden dekoriert, stünde - wie selbst Demokraten einräumen - für die dann so wichtigen Fernsehdebatten mit dem Texaner aufgrund früherer Äußerungen vor allem zur Außen- und Sicherheitspolitik auf durchaus schlüpfrigem Boden. Zwar gilt Kerry auch dank seiner Erfahrung durch vier Amtsperioden als Senator als erstklassiger Debattierer. Doch zu einer Zeit, wo das Thema Irak durch den kritischen Blick auf die Kriegsgründe weiter im Vordergrund steht, dürften Republikaner die Hand in eine der offenen Wunden Kerrys legen: Er hatte beispielsweise 1991 gegen den ersten Golfkrieg gestimmt, nachdem Saddam Hussein in Kuwait eingefallen war. Kerry hatte im Frühjahr dann eine Wende vollzogen und mit einer Kongress-Mehrheit Bush zum Einsatz militärischer Gewalt autorisiert - ein Votum, von dem er sich heute schrittweise zu distanzieren versucht: "Ich habe nur dem Einsatz von Gewalt zugestimmt, damit Saddam Hussein gegenüber der Uno einlenkt", so Kerry kürzlich. Doch selbst Demokraten auf dem Kapitolshügel war klar, dass da schon der Zug eindeutig in Richtung Invasion fuhr. Kerry versucht sich heute aus der Argumentations-Problematik zu retten, indem er darauf verweist, dass "Bush ohne breite internationale Unterstützung den Krieg begann und wichtige Allianzen beschädigt hat." Doch ob ihm diese Wortspiele helfen? Howard Dean, dem einzigen erklärten Kriegsgegner unter den Kandidaten, schwant hier ebenfalls Böses, falls Kerry gegen Bush antreten muß: "Für John Kerry gab es niemals einen Standpunkt zu einem Thema, den er nicht eingenommen hat", lästerte Dean unter Verweis auf das unscharfe sicherheitspolitische Profil Kerrys und dessen wechselnde Standpunkte. Was künftige Militäreinsätze angeht, hält sich Kerry jedenfalls erst einmal alle Optionen für eine Amtszeit im Weißen Haus offen: "Wir dürfen Gewalt im Kampf gegen den Terror nicht ausschließen."

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