Offenes Feuer gelöscht, Streit schwelt weiter

BERLIN. Gemeinsamkeitenbetonen statt Unterschiede - diese Linie verfolgten Sozialdemokraten und Gewerkschaften am Tag nach ihrem Krisentreffen. Der Ton ist versöhnlicher geworden. Doch die Differenzen bleiben.

Nach wochenlangem Streit sind sich Gewerkschaften und SPD atmosphärisch wieder etwas näher gekommen, in der Sache jedoch hart geblieben. Dies ist das Ergebnis einer dreistündigen Krisensitzung des SPD-Gewerkschaftsrates (Spitzen von SPD, DGB und Einzelgewerkschaften) am Montag Abend im Berliner Willy-Brandt-Haus. Wie lange der Burgfrieden hält, muss sich noch zeigen. Die Vorsitzenden Franz Müntefering (SPD) und Michael Sommer (DGB) äußerten sich nach dem Treffen betont zurückhaltend. In den Kernpunkten, sagte Sommer vor Journalisten, "werden wir auch weiterhin auseinander sein". Das betrifft insbesondere die Agenda des Bundeskanzlers im Allgemeinen, und das Hartz-IV-Gesetz im Besonderen. Allerdings sei es gelungen, zu einer konstruktiven Gesprächsatmosphäre zurück zu kehren. Dies wurde von anderen Teilnehmern bestätigt. Ernsthaft habe man Argumente ausgetauscht, stets bemüht, nicht weiteres Öl ins Feuer zu gießen. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder, der aus Termingründen die Sitzung vorzeitig verlassen musste, hatte erneut betont, an den Zielen der Agenda festhalten zu wollen. Müntefering wies darauf hin, dass die SPD verstärkt das Gespräch mit den Personal- und Betriebsräten suchen wolle, um die Politik der Bundesregierung besser zu erklären. Am 5. Oktober will man sich wieder treffen.Gewerkschaftsbosse betonen Unabhängigkeit

Das Treffen zog seine besondere Brisanz aus dem Umstand, dass sich in den vergangenen Wochen Personen, die sich politisch oder auch persönlich nahe stehen, mit gegenseitigen Schuldzuweisungen bedacht haben. Sommer hatte in einem Brief an den Kanzler auf die "wachsende Gerechtigkeitslücke" in Deutschland hingewiesen und Korrekturen am Hartz-IV-Gesetz für "unverzichtbar" erklärt, um dem "staatlich geförderten Lohndumping" entgegen zu wirken. Gleichzeitig hatte der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, dem Kanzler attestiert, mit seiner Reformpolitik gescheitert zu sein. Verärgert hatte Gerhard Schröder daraufhin Bsirske vorgehalten, dieser habe "inhaltlich nichts anzubieten". Für Verdi nahm die stellvertretende Vorsitzende Margret Mönig-Raane an dem Gespräch teil, da Bsirske Mitglied der Grünen ist. In diesem hitzigen Klima, zusätzlich angeheizt durch das Umfragetief der SPD und die Gründungsversuche einer neuen Linkspartei, fand das Treffen des Gewerkschaftsrates statt. Dem Vernehmen nach haben die Chefs der großen Gewerkschaften, insbesondere Jürgen Peters (IG Metall), Klaus Wiesehügel (IG Bau) und Michael Sommer (DGB) darauf hingewiesen, dass sie keine "Parteigewerkschaften" seien, die es zu disziplinieren gelte. Sachlich bleibe man dabei, dass die neuen Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose unzumutbar seien. Auch müssten die Leistungen für das Alg 2 (Arbeitslosengeld II) vor allem für Haushalte mit Kindern und niedrigen Partnereinkommen erhöht werden. Entsprechende Zusagen wollten Bundeskanzler Gerhard Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering aber nicht geben. Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement wies Forderungen nach einem Kurswechsel zurück. Er hoffe, dass sich auch bei den Gewerkschaften diejenigen durchsetzten, "die wissen, dass unser Land erneuert werden muss".Neue Linkspartei sorgt für Nervosität

Keine (größere) Rolle spielte die Diskussion um eine neue Linkspartei, deren Gründung auch von aktiven Gewerkschaftsfunktionären mitbetrieben wird. Offiziell hatte es am Mittag von SPD-Seite geheißen, man sehe in denBemühungen der Abweichler keine Gefahr. Auch Clement bezeichnete das Projekt Parteineugründung als "tot geborenes Kind". Allerdings wurde in SPD-Kreisen auch zugegeben, dass man "etwas nervös" sei. Der Parteienforscher Franz Walter (Uni Göttingen) hatte dem Linksbündnis "gute Erfolgsaussichten" prophezeit und den möglichen Zuspruch auf fünf bis zehn Prozent geschätzt.

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