"Ohne Lafontaine wäre mehr möglich"

Nach ihrem Erfolg bei der Bürgerschaftswahl in Bremen hat die Linkspartei ihren bundespolitischen Anspruch bekräftigt. Am Tag nach der Wahl analysierten Experten die Folgen für die anderen Parteien.

Berlin. Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Karl-Rudolf Korte wird sich die Parteienlandschaft in Deutschland durch das gute Bremer Wahlergebnis der Linken dauerhaft verändern. Die SPD werde die Linkspartei "nicht auf Dauer ignorieren können". Mit dem Professor an der Universität Duisburg-Essen sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter.Herr Korte, ist die Linkspartei jetzt eine bundesdeutsche Kraft?Korte: Eindeutig nein. Bei der Bremen-Wahl im Jahr 1979 schafften die Grünen erstmals den Sprung in ein Landesparlament. Heute ist die Partei eine etablierte Kraft. Warum sollte das nicht auch den Linken gelingen?Korte: Richtig ist, für die Grünen war Bremen ein Trendsetter. Auch die erste Ampel-Regierung aus SPD, FDP und Grünen wurde in der Hansestadt gebildet. Insofern ist eine Westausdehnung der Linkspartei nicht ausgeschlossen. Aber das ist, wie gesagt, abhängig vom jeweils amtierenden Regierungsbündnis und der Haltung der SPD, wenn es um altsoziale Besitzstände geht. Zu deren Verteidigung ist die Linkspartei ja angetreten. Warum gelingt es der SPD nicht mehr, sozial Benachteiligte an sich zu binden?Korte: Durch die Notwendigkeit der Agenda 2010 ist es für die SPD deutlich schwieriger geworden, den Umbau des Sozialstaates auch sozial gerecht erscheinen zu lassen. Und wenn dann noch eine andere Partei daher kommt, die zumindest rhetorisch sozial gerecht wirkt, dann hat die SPD eben schlechte Karten. Allerdings ist es auch ein Trugschluss zu glauben, dass Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger fest bei der Linken gebucht wären. Bei der letzten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen war gerade diese Gruppe in Scharen zur CDU übergelaufen.Was heißt das für die SPD strategisch?Korte: Die Sozialdemokraten werden die Linke nicht auf Dauer ignorieren können. Für die strukturelle Mehrheitsfähigkeit der SPD ist eine Integration der Linken langfristig notwendig. Warum sollte, was im Berliner Senat geht, nicht auch in anderen Orten funktionieren? Schon am Wahlabend hatten die SPD-Spitzen vehement betont, keine Regierung mit den Linken einzugehen, obwohl ein solches Bündnis in Bremen rechnerisch gar nicht möglich ist. Wie deuten Sie diese fieberhafte Abgrenzung?Korte: Da gibt es ganz persönliche Aversionen, die eng mit dem Namen Oskar Lafontaine verbunden sind. Dass der ehemalige SPD-Chef die Linken gegen seine alte Partei in Stellung bringt, können ihm viele Sozialdemokraten nicht verzeihen. Ohne Lafontaine wären Regierungsbündnisse mit den Linken im Westen eher möglich und auch deutlich weniger ideologisiert.Das bedeutet, mit den Linken wird sich auch das deutsche Parteiensystem verändern?Korte: Ja. Wir werden es nicht mehr mit einem Vier-, sondern dauerhaft mit einem Viel-Parteiensystem zu tun bekommen. Dadurch werden die Mehrheitsfindungen in Zukunft schwieriger.Insgesamt haben über 60 Prozent der Bremer SPD, Grüne oder Linke gewählt. Rückt die Republik nach links?Korte: Nein. Nach dieser Rechnung gab es schon bei der letzten Bundestagswahl eine linke Mehrheit. In Wahrheit haben wir eine extrem schwarze Republik, wenn man sich die Landesregierungen anschaut. So viele Ministerpräsidenten der Union gab es noch nie. Insofern könnte man sogar von einem Rechtsruck sprechen, vor dem sich aber offenbar auch keiner fürchtet.

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