Optimismus ist Pflicht

TRIER. Die Arbeitswelt von morgen ist eine andere als die von heute – Beschäftigte und Unternehmer müssen sich darauf einstellen. Das fordert Zukunfts- und Freizeitforscher Horst Opaschowski (Foto: privat) im TV-In terview.

Herr Opaschowski, ist einem als Zukunftsforscher eigentlich bange vor der Zukunft? Opaschowski: Nein. Optimismus ist Pflicht. Wenn ich Probleme aufdecke, dann muss ich mich auch verantwortlich fühlen für deren Lösung. Ein Zukunftsforscher muss dafür sorgen, dass die Weichen dafür bereits heute gestellt werden. Geben Sie uns einen Tipp, wie man angesichts des Bergs von Problemen, die die Politik derzeit vor sich herschiebt, optimistisch bleiben kann. Opaschowski: Es gehört zur menschlichen Natur, wie Sisyphus ständig den Felsen nach oben zu schieben, und wenn man oben angekommen ist, fällt er wieder herunter. Wir müssen eben nur sehen, dass die Probleme nicht übermächtig werden und dass wir sie nicht den nachfolgenden Generationen aufdrücken. Das wäre unverantwortlich. Sehen Sie derzeit überhaupt ernsthafte Lösungsansätze bei der Politik, die Probleme zu lösen?Opaschowski: Nicht die Politik muss die Probleme lösen, sondern die Menschen selbst. Derzeit zeichnet sich die Vision einer Selbsthilfegesellschaft ab, bei der sich die Menschen wieder mehr auf sich selbst besinnen, wieder mehr selbst Hand anlegen. Auch und gerade bei der jungen Generation. Daher glaube ich, dass die Jugend von heute eines Tages wieder stärker Druck auf die Politik ausüben wird. Eine Zukunftsvision von Ihnen lautet: Lust am Arbeiten. Wie kann ein Arbeitnehmer denn heute überhaupt noch Lust am Arbeiten haben, wenn er ständig Angst haben muss, vor die Tür gesetzt zu werden? Schaffen die Unternehmen überhaupt ein Klima der Lust? Opaschowski: Es gibt eine Lust auf Leistung. Jeder Mensch ist von Kindheit an darauf programmiert. Man will etwas leisten. Andererseits kann der Mensch Arbeit ohne Lust nicht ertragen. Im Moment können sich viele Unternehmen den Luxus noch erlauben, auf ein solches Klima zu verzichten. Doch irgendwann fehlen die Fachkräfte. Dann stehen die Betriebe vor der Wahl: Entweder die besten Köpfe wandern aus, oder die Betriebe müssen ihnen etwas bieten, damit sie bleiben. Vier Wochen herrschte in diesem Jahr Hochstimmung in Deutschland. Kaum war die Fußball-WM vorbei, hat sich schon wieder Pessimimus breit gemacht. Die Deutschen also doch ein Volk der Jammerer?Opaschowski: Die Deutschen jammern auf hohem Niveau. Vielleicht sind wir einfach empfänglicher für schwermütige Interpretationen des Lebens. Wir brauchen eben immer wieder diese Aufbruchstimmung, den berühmten Ruck, der durchs Land gehen soll. Dazu brauchen wir Macher wie Klinsmann, die uns aufrütteln. Jammern auf hohem Niveau, sagen Sie. Ist das Niveau in Deutschland tatsächlich noch so hoch - Stichwort: neue Armut? Opaschowski: Die neue Armut oder - wie es jetzt heißt - das Prekariat gibt es schon lange. Früher war man arm ohne Arbeit, jetzt kann man auch arm sein mit Arbeit - das ist das Neue. Menschen haben einen Job - und müssen trotzdem Angst haben abzustürzen. Und das heißt nicht nur Wohlstandsverlust, sondern auch Gesichtsverlust gegenüber Freunden, Nachbarn und Kollegen. Menschen ohne Geld werden in fast allen Bereichen des Lebens ausgegrenzt. Und trotzdem sind Sie optimistisch? Opaschowski: Noch mal: Das ist einfach Pflicht. Ich halte es fast biblisch: Selbst wenn die Welt untergehen würde, würde ich heute noch mein Apfelbäumchen pflanzen. Mit Horst Opaschowski sprach unser Redakteur Bernd Wientjes.

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