Panische Politiker und gläserne Bürger

Wer im Internet surft oder mit dem Handy telefoniert, muss künftig damit rechnen, dass Ermittler die Daten sammeln. Die Bundesregierung will die Kommunikation stärker überwachen - Datenschützer kritisieren das.

Trier. Ständig online sein, ständig das Handy am Ohr: Das ist für viele Menschen heute normal. Schnell die Nachrichten im Internet gelesen. Unterwegs per Handy einen Termin ausgemacht. Dem Freund oder Kollegen eine Mail vom Flughafen geschickt. Bankgeschäfte werden selbstverständlich per Internet abgewickelt. Auch eingekauft wird im Netz. Kommunikation spielt sich mittlerweile fast ausschließlich elektronisch über Computer oder Handy ab. 39 Millionen Deutsche bewegen sich im Internet, 80 Millionen Handy-Nutzer gibt es in Deutschland. Kein Wunder, dass die Begehrlichkeiten wachsen, die elek-tronische Kommunikation stärker zu überwachen. Telefongesellschaften und Internetdienstleister sollen nun verpflichtet werden, sechs Monate die Verbindungsdaten ihrer Kunden zu speichern. So sollen Zeitpunkt und Dauer des Anrufs oder der Einwahl ins Internet und die Nummer des Angerufenen oder seine Computer-Adresse regis-triert werden. Wer mit dem Handy telefoniert, der muss damit rechnen, dass künftig der Standort, von dem aus das Gespräch geführt wurde, gespeichert wird. Inhalt des Telefonats oder der Kurzmitteilung sollen nicht aufgezeichnet werden. "Was zu weit geht, geht zu weit", ärgert sich der rheinland-pfälzische Landesdatenschutz-Beauftragte Edgar Wagner über das Gesetzesvorhaben. Es bestehe absolut keine Notwendigkeit, die Daten zu sammeln. Wagner sieht darin einen "unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre", von dem "noch nicht mal ansatzweise" nachgewiesen sei, dass er tatsächlich der Terrorabwehr diene. Doch genau damit wird die sogenannte Vorratsdatenspeicherung begründet. Der 11. September 2001 hat bei der Politik die Begehrlichkeiten geweckt, die Bürger möglichst umfassend zu überwachen. Seit zwei Jahren gibt es eine EU-Richtlinie zur Telekommunikationsüberwachung. Am Freitag nun soll sie im Bundestag in nationales Recht umgesetzt werden. Durch eine möglichst komplette Erfassung aller Kommunikationsdaten soll Kriminalität besser bekämpft werden. Aus Sicht der Polizei eine realistische Vorstellung. Es sei irreführend, den Kampf gegen das Verbrechen als Schreckensgespenst an die Wand zu malen, kritisiert Konrad Freiberg, Chef der Gewerkschaft der Polizei. "Der Bürger kann sicher sein, dass die Polizei verantwortungsvoll mit den Daten umgeht", sagt Freiberg. Ärzte befürchten, dass das Vertrauensverhältnis zu den Patienten gestört werde, wenn etwa durch den Kontakt mit bestimmten Medizinern Rückschlüsse auf persönliche Probleme oder Krankheiten gezogen werden könnten. Auch würden faktisch anonyme Beratungen etwa bei der Aids-Hilfe oder Suchstellen durch die Überwachung wegfallen, kritisieren die Hilfsstellen. Und Journalisten fürchten, dass sie ihre Informanten nicht mehr schützen können. Eine hundertprozentige Sicherheit bei der elektronischen Kommunikation gebe es ohnehin nicht, sagt der Trierer Informatiker und Spezialist für Netzsicherheit, Alfred Scheerhorn. Technisch sei das, was die Bundesregierung vorhabe, längst "kalter Kaffee". Problematisch sieht Scheehorn vor allem die Internetnutzung. Viele bewegten sich zu sorglos im Netz, sagt der Informatiker der Trierer Fachhochschule. So hinterlasse jeder, der immer dieselbe Suchmaschine im Internet benutze, unbewusst Spuren. Die Betreiber der Seiten könnten so problemlos ein Profil der Nutzer erstellen. Dadurch könnten Internetsurfer relativ leicht identifiziert werden. "Der gläserne Bürger ist längst Realität", glaubt Scheehorn.

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