Papa, der Märchenonkel

TRIER. In vielen Familien gilt trotz aller beruflichen Möglichkeiten noch immer die klassische Aufteilung: Der Mann geht arbeiten, die Frau kümmert sich um Kinder und Haushalt. Kommt dabei die Vater-Kind-Beziehung nicht zu kurz? Dies fragen wir in unserem heutigen Teil der Väter-Serie.

"Papaaaah!" Ein Ausruf, der jeden Vater stolz macht. Seine Tochter ruft nach Wochen, in denen zwischen all den mehr oderweniger unartikulierten Lauten immer wieder "Mamaah" zu hören war, zum ersten Mal ganz bewusst nach dem Erzeuger. Das zwar morgens um kurz nach acht. Aber dieses "Papaaah" (unsere Tochter betont ganz vornehm auf der letzten Silbe) macht einfach nur glücklich. Also scheint die Kleine doch zu verzeihen, dass der "Papaaah" als konventioneller Brötchenverdiener nicht so viel Zeit für sie hat und sie morgens um neun für fast elf Stunden mit "Mamaah" allein lässt. Die Angst, das gerade einmal 15 Monate alte Mädchen könnte nie eine richtige Beziehung zu seinem Vater aufbauen, weil er außer am Wochenende (und das oft nur beschränkt, weil er regelmäßig sonntags arbeiten muss), an freien Tagen oder im Urlaub so richtig Zeit für sie hat, scheint also unbegründet. Wenn ein gerade einmal des Laufens mächtiges und noch mehr oder weniger brabbelndes Kleinkind morgens als erstes nach dem Aufwachen nach "Papaaah" verlangt, dann kann es nicht sauer sein auf ihn. Ein freudestrahlendes Lächeln, wenn es von Vater aus dem Bett gehoben wird, wo es schon ungeduldig steht und sich selbst das Licht im Zimmer angemacht hat (der Schalter befindet sich direkt neben dem Bett), fegt das oft vorhandene schlechte Gewissen weg. Also macht sich doch bezahlt, dass nach Feierabend Papa-Zeit ist. Die Stunde zwischen dem Heimkommen des Vaters bis zum Schlafengehen der Kleinen wird herumgetobt. "Papaaah" ist nämlich eher für das Grobe, das wilde Spiel, das "Hotte hüh" auf den Schultern und das Kitzeln bis kurz vor der Atemnot zuständig. Für dietäglichen Schmuse-Einheiten ist Mama da. Morgens, bevor der Brötchenverdiener das Haus verlässt, nach dem gemeinsamen Frühstück, ist noch ein paar Minuten Spielzeit angesagt. Dann muss Papa den Märchenonkel geben. Zielsicher greift die Tochter ihre Lieblingsbücher aus ihrer Bibliothek in der Spielkiste. Ganz oben auf der Vorleseliste steht übrigens die "Struwwelliese". Doch trotz der Holper-Reime - der Kleinen gefällt es, und sie lacht sich immer einen Ast an der Stelle, an der die "böse Lies‘" in den Korb der Bäuerin plumpst, natürlich untermalt mit den entsprechenden lautmalerischen Tönen von "Papaaah". Und abends, wenn es dann ins Bett geht, kommt noch einmal Papas großer Auftritt: Windeln wechseln, Waschen, Schlafanzug anziehen und zumindest ein wenig Schmusen. Aus den kleinkindlichen Notwendigkeiten ist ein Ritual geworden, das seinen Höhepunkt im Vorlesen einer Geschichte findet. Märchen von denGebrüdern Grimm (Hänsel und Gretel, Schneewittchen) oder Andersen (Däumelinchen, Das hässliche Entlein), manchmal auch Geschichten aus dem fernen Orient ("Alibaba und die 40 Räuber") werden so Abend für Abend im Kinderzimmer einem (nicht immer) aufmerksamen Publikum zu Gehör gebracht. Auch PippiLangstrumpf oder Pinocchiostanden schon aufgeteilt auf mehrere Leseabende auf dem Programm. Und es wirkt. Die Kleine hört zu, lauscht den Märchen, die Papa schon als Kind vorgelesen bekommen und selbst gelesen hat. Auch wenn man ihr wahlweise wahrscheinlich auch die Bedienungsanleitung des Videorekorders vortragen könnte: Märchen sind doch etwas anderes. Märchen machen Kindern Mut

Zum einen kann Vater dann vor dem Fernseher bei den Quiz-Fragen sein Spezialwissen ("Was gab Sterntaler als letztes Kleidungsstück her?") erfolgreich unter Beweis stellen. Und zum anderen sollen Märchen ja auch pädagogisch wertvoll sein. Sie machten Kindern Mut zum Leben, verkündete neulich ein Psychologe. Und in einer Umfrage des Allensbach-Instituts gaben 83 Prozent der Befragten an, dass sie glauben, Kinder brauchten auch heute noch Märchen. Also kann man nicht früh genug mit diesem wichtigen Beitrag für die kindliche Entwicklung anfangen. Und offensichtlich wird es einem ja auch gedankt mit einem lauten und bestimmten "Papaaah" am Morgen für den "Märchenonkel", der mit der abendlichen Lesung sein schlechtes Gewissen zumindest etwas beruhigen kann.

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