Party beim Doppel-Pass

Der Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 jährt sich am heutigen Samstag erstmals. Hat sich die Einstellung der Deutschen zu "ihrem" Land nachhaltig geändert? Und wie passen Fußball-Ausschreitungen in den vergangenen Monaten zu dem bei der WM transportierten Bild toleranter Fans? TV-Redakteur Mirko Blahak sprach darüber mit dem Kölner Sportsoziologen Hans Stollenwerk.

Was ist von der Gastfreundschaft, Fröhlichkeit und Offenheit der Deutschen während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ein Jahr danach geblieben?Stollenwerk: Man kann nicht sagen, dass etwas verblasst ist. Dieser Glanz wurde vor allem medial herausgestellt. Ob das im Einzelfall überall so war, sei dahingestellt. Diese grundlegenden positiven Aspekte wie freundschaftliche Begegnungen, Offenheit und eine gewisse Spontaneität, die man den Deutschen so nicht zugetraut hat, waren sicherlich vorhanden, können aber nicht so verallgemeinert werden, wie es vielfach geschehen ist. Bei der WM kamen zudem glückliche Umstände zusammen, die die Atmosphäre positiv beeinflusst haben: Die deutsche Nationalmannschaft hatte Erfolg, das Wetter war hervorragend, und es war eine Bereitschaft da, sich und das Ereignis zu feiern. Viele wollten vor allem Party machen.Ist diese Feierlaune bis heute in einen neuen unverkrampften Patriotismus gemündet?Stollenwerk: Ich denke, dass die Deutschen heute etwas unverkrampfter auch mit nationalen Symbolen umgehen, etwa mit Flaggen. Das wäre so vor zehn oder 20 Jahren nicht möglich gewesen, wurde aber auch nachhaltig von den Medien gefördert. Die Siegesfeiern beim VfB Stuttgart und beim 1. FC Nürnberg haben jüngst wieder die Massen mobilisiert. Hat sich durch die WM inzwischen eine neue Massen-Feier-Kultur in Deutschland etabliert?Stollenwerk: Feiern mit solchen Ausmaßen sind zunächst einmal nichts Neues. Schon in den 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren nach Meisterschaften, zum Beispiel in Dortmund oder Gelsenkirchen, Hunderttausende auf den Straßen. Damals wurde nur nicht in dem Maße darüber berichtet. Es gab keine stundenlangen Übertragungen von irgendwelchen Rathaus-Balkonen. Dennoch hat die WM tatsächlich nachhaltig für eine neue Art des Konsums von Fußball gesorgt. Das "Public Viewing", die Übertragung von Fußball auf Großleinwänden auf öffentlichen Plätzen, ist die Innovation der WM. Bei solchen Angeboten reizt viele die Atmosphäre, die Partylaune. Das wurde jüngst bei Public-Viewing-Veranstaltungen im Bundesliga-Endspurt in Gelsenkirchen, Stuttgart oder auch beim Pokalfinale in Nürnberg deutlich.Ausschreitungen in den vergangenen Monaten in der zweiten Liga und darunter stehen im Gegensatz zum Bild des fröhlichen, fairen und toleranten Deutschen, das während der WM gezeichnet wurde. Wie ist das zu erklären?Stollenwerk: Das sind zwei Dinge, die man nicht vergleichen kann. Natürlich war die WM unter dem Strich friedlicher, als man erwarten konnte. Während der WM gab es aber auch Fan-Randale, weniger durch Deutsche als von Anhängern anderer Länder. Das ist nur am Rande erwähnt worden. Man wollte das Bild der gelungenen Veranstaltung nicht so negativ beeinträchtigen. Fan-Ausschreitungen jetzt haben mit der WM nichts zu tun. Für sie gibt es unterschiedlichste - gesellschaftliche und sozialpsychologische - Gründe. War es also illusorisch, daran zu glauben, dass sich durch die WM mehr Toleranz und Fairness im Fußball durchsetzt?Stollenwerk: Fußball, vor allem in seinen professionellen Varianten, hat realistisch gesehen bislang wenig mit diesen Werten zu tun gehabt und wird auch nicht viel damit zu tun haben. Fußball ist ein ganz brutales Geschäft und ist in weiten Bereichen unfair und gewalttätig. Zur Person Hans Stollenwerk ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportsoziologie an der Deutschen Sporthochschule Köln. 1987 hat er promoviert. Seine Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem die Publikumsforschung in Sport und Musik, Freizeitforschung, Sport und Gewalt sowie mediensoziologische Themen. (bl)

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