Patienten wehren sich gegen Ärztepfusch

Die Dimension ist gewaltig: In Deutschland werden pro Jahr rund 400 Millionen Kontakte zwischen Ärzten und Patienten registriert. Es liegt auf der Hand, dass dabei auch Konflikte entstehen. Schätzungen zufolge wird in jedem 10 000. Fall ein Verdacht auf Behandlungsfehler laut. Das klingt wenig dramatisch. Doch dahinter verbirgt sich immer ein persönliches Schicksal

Berlin. "Jeder Fall ist einer zu viel", heißt es dann auch bei der Bundesärztekammer. Viele Patienten sehen das genauso. Sie wehren sich immer häufiger, wenn sie sich falsch behandelt fühlen.

Wie die Bundesärztekammer gestern in Berlin mitteilte, wurde im vergangen Jahr bei 2095 Patienten medizinischer Pfusch festgestellt. In 1717 Fällen führten die Mängel teilweise zu gesundheitlichen Dauerschäden sowie Schadenersatz. Die häufigsten Fehlbehandlungen gab es bei Brustkrebs, Knochenbrüchen und Erkrankungen des Hüftgelenks. Dabei sind diese Angaben nur die Spitze des Eisbergs. So waren in den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärzteschaft 2007 insgesamt 10 432 Beschwerden anhängig. 2006 lag die Zahl mit 10 280 leicht darunter. Mindestens weitere 30 000 Patienten würden sich Jahr für Jahr bei Gerichten, Krankenkassen und Versicherungen beschweren, erläuterte der Vorsitzende der Konferenz der Gutachterkommissionen, Andreas Crusius. Genauere Daten sind unbekannt. Außerdem zeigt die Statistik der häufigsten Krankheiten, die zu Beschwerden führen, dass dort auch der Fehlernachweis vergleichsweise unkompliziert ist. An vorderster Stelle stehen Gelenkkrankheiten, sowie Unterarm- und Sprunggelenkfrakturen. Hier spürt der Patient sofort, ob es ihm nach der Behandlung bessergeht oder nicht. Beschwerden über Defizite etwa bei der Notfallmedizin oder auf der Intensivstation registrieren die Schlichtungsstellen dagegen kaum. Dabei würden auch dort "bestimmt Fehler" gemacht, räumte der Vorsitzende der Schlichtungsstelle der norddeutschen Ärztekammern, Walter Schaffartzik, ein. Nur sind sie eben kaum zweifelsfrei feststellbar. Trotzdem sieht die Bundesärztekammer in der Arbeit der Schlichtungsstellen einen wertvollen Beitrag zum transparenten Umgang mit medizinischen Behandlungsfehlern. Auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hatte zuletzt mehrfach betont: Wichtig sei, dass über solche Fehler offen gesprochen werde. Bei ihrem Amtsantritt vor sieben Jahren hätten die Mediziner das noch für ein "Verbrechen" gehalten. Ende Februar hatten sich erstmals mehrere zum Teil prominente Fachkräfte aus dem ärztlichen und pflegerischen Bereich offen zu ihren Fehlern bekannt, die ihnen im Arbeitsalltag unterlaufen waren. Der Schritt ging auf eine Initiative des "Aktionsbündnisses Patientensicherheit" zurück.Meinung

SelbstbewusstVon Stefan Vetter

Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Diese Volksweisheit traf lange auf die Ärzteschaft zu. Wenn sich ein Mediziner zu einem Behandlungsfehler bekannte, dann nur, weil die Beweise dafür erdrückend waren. Inzwischen beginnt der Wind sich zu drehen. Und das ist gut so. Die jüngste Beschwerdestatistik der Verbandslobby zeugt auch vom wachsenden Selbstbewusstsein der Patienten. Behandlungsfehler dürften weitaus häufiger vorkommen als in der Statistik ausgewiesen. Entscheidend ist, dass die Schiedsstellen der Ärztekammern zunehmend zum Anlaufpunkt unzufriedener Patienten werden. Der Vorteil der Schiedsstellen besteht darin, dass sie für die Patienten unentgeltlich aktiv werden und eine rechtsverbindliche Festlegung treffen können. Die Konsequenzen reichen von einer Veränderung organisatorischer Abläufe in Krankenhäusern bis zur Fortbildung der Mediziner. Sogar das Wort "Fehlervermeidungskultur" macht unter den Verbandsfunktionären die Runde. Das klingt ermutigend! nachrichten.red@volksfreund.de

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