Plädoyer für Verständnis

BERLIN. (ve) Wenn der Bundespräsident zur "Berliner Rede" lädt, ist die Aufmerksamkeit groß. Sein Thema diesmal: "Deutschlands Verantwortung in der Welt."

Vor sechs Jahren hatte Roman Herzog für Gesprächsstoff gesorgt. "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen", las der Bundespräsident seiner Nation die Leviten. Der Ruck ist ausgeblieben. Doch die damals von Herzog begründete Tradition der "Berliner Rede" lebt bis heute fort. Auch sein Nachfolger Johannes Rau hatte sich auf diese Weise solch drängenden Themen gestellt. Im Maxim-Gorki-Theater der Hauptstadt ging es gestern um "Deutschlands Verantwortung in der Welt". Ein Thema, über das sich ganz sicher zu debattieren lohnt, aber hinter vorgehaltener Hand stand auch der Redner selbst zur Diskussion. Denn just am Tage seines Auftritts im ältesten Konzerthaus Berlins wussten viele Zeitungen wenig Erbauliches über den 72-jährigen zu berichten: "Rau will möglicherweise nicht mehr kandidieren", hieß es da zum Beispiel. Ein Hinweis darauf, dass der erste Mann im Staat wohl selbst nicht mehr mit einer Verlängerung seiner Amtszeit rechnet. In einem Jahr tritt nämlich die Bundesversammlung zur nächsten Wahl des Präsidenten zusammen, doch eine rot-grüne Mehrheit ist darin so gut wie ausgeschlossen. Rau lässt sich von der Diskussion nichts anmerken. Sein knapp einstündiger Vortrag entspricht wortgleich dem zuvor verbreiteten Manuskript. Der Neuigkeitswert hält sich auch in Grenzen. Ausgehend vom Terroranschlag auf das World Trade Center im September 2001 fordert er Verständnis für die USA ein. Deutsche und Europäer machten sich "vielleicht zu wenig klar", wie sehr ein Land ins Mark getroffen sei, das sich "unverwundbar glaubte". Ohne den Irak-Krieg ausdrücklich zu kritisieren gibt Rau aber auch zu verstehen, dass dem internationalen Terrorismus nicht mit militärischen Mitteln beizukommen sei. Es drohe die Gefahr eines Gewöhnungsprozesses, "an dessen Ende militärische Intervention und Krieg ein Instrument unter vielen ist". Einen Waffengang als "ultima ratio" will er allerdings nicht ausschließen. Zugleich plädiert der Bundespräsident für eine Normalisierung der Beziehungen zu den USA: "Die großen Herausforderungen unserer Zeit können weder Amerikaner noch Europäer allein und schon gar nicht in Konfrontation lösen." "Meinungsunterschiede" zerstörten die deutsch-amerikanische Freundschaft nicht, ist Rau überzeugt. Auch in Zukunft dürfe aber "kein Staat für sich das Recht auf Intervention beanspruchen", betont der Bundespräsident. Seine Betrachtungen zu Europa reichen dann kaum über allgemeine Beschwörungen hinaus. Am Ende wird seine Rede mit höflichem Beifall bedacht. Doch wirklich mitgerissen fühlte sich offenbar niemand. "Das kann man alles unterschreiben", sagt einer. Raus Popularität in der Bevölkerung dürften solche Einschätzungen keinen Abbruch tun. Umfragen zufolge würden 53 Prozent eine zweite Amtszeit begrüßen. Auch das konnte Rau am Tag seiner "Berliner Rede" in der Presse nachlesen.

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