Politik und Fußball im Doppelpass

BERLIN. Fußball und Politik im Doppelpass: Die Stippvisite im Berliner Quartier der Nationalmannschaft ergab schöne Bilder. Eine lächelnde Kanzlerin im Glanz jugendlich wirkender Helden, von denen die Nation in den kommenden Wochen ebenso heldenhafte Taten erwartet.

Angela Merkel hat sich einem Sport und dessen verschwitzten Ikonen genähert, den ihre Vorgänger Helmut Kohl und Gerhard Schröder (früher als Kicker rustikal "Acker" genannt) wie selbstverständlich für sich vereinnahmten. Es ist Weltmeisterschaft, und in WM-Zeiten schreitet die Politik halt schamlos Seit' an Seit' mit den Fußballgrößen, volksnah mit warmen Worten für die hoffenden Massen. Schon oft spielten sich Politik und Fußball den Ball zu.Das gute Gefühl beflügelt die Nation

Das Wunder von Bern 1954 gab den Deutschen ihr Selbstvertrauen zurück - wir sind wieder wer. In den 70er-Jahren standen zwei Ikonen, Willy Brandt und Günter Netzer, für den Steilpass in den freien Raum. Mehr Demokratie wagen ging einher mit dem neuen Offensivfußball der deutschen Elf. Deutschland wird Europameister und 1974 Weltmeister. 1990 wird Deutschland wieder Weltmeister und vollzieht die historische Wiedervereinigung. Demoskopen sprechen vom "Feel-Good-Faktor", vom guten Gefühl, das eine ganze Nation durch solche sportlichen Siege erfasst und beflügelt. Und ein kollektives Erfolgserlebnis wie der WM-Sieg nutzt einer Regierung und fast nie einer Opposition. Die immer populistischer werdende Politik klammert sich aber auch immer stärker an den Fußball in der Hoffnung, von dessen erheblicher Popularität und Medienpräsenz zu profitieren. Das Bild eines Mächtigen mit Klinsmann, Poldolski oder Schweinsteiger findet Beachtung bis in tiefste Wählerschichten und ist damit vermutlich wirkungsvoller als eines mit UN-Generalsekretär Kofi Annan. Auch die schlichte Kicker-Sprache hat längst Einzug in den politischen Alltag gehalten - ohne fußballerischen Einschlag bestreitet etwa Franz Müntefering schon seit Jahren keine Pressekonferenz oder Rede mehr. Das wird beim Wahlvolk verstanden und soll suggerieren: der ist einer von uns. Der Fußball sucht hingegen nur dann die Nähe zur Politik, wenn er sie unbedingt als Mittel zum Zweck benötigt. So brauchte "Kaiser" Franz Beckenbauer die Regierenden, um die WM überhaupt nach Deutschland zu holen. Ansonsten herrscht weitgehend Funkstille. Wer sich mit dem Fußball verbündet, scheint auch in den Sog seiner Misserfolge zu geraten. Im Jahr einer Vize-Weltmeisterschaft sind schon zwei Bundeskanzler gestürzt worden: 1966 Ludwig Erhard und 1982 Helmut Schmidt. 1998 war das letzte Kanzler-Jahr Helmut Kohls. Damals spielten die Deutschen mit Berti Vogts als Trainer in Frankreich eine schwache Endrunde; der vielfach verspottete Vogts galt ohnehin als Pendant zum genauso gern verspotteten Kohl. Alles nur Zufall? Die hübschen und analysierbaren Parallelen zwischen Fußball und Politik sind offensichtlich, aber es gibt natürlich keine Gesetzmäßigkeit. 1994 wurde Kohl wieder gewählt, obwohl die deutsche Mannschaft bei der WM in den USA förmlich unterging. Damals machte SPD-Kanzlerkandidat Rudolf Scharping allerdings so viele handwerkliche Fehler, dass er selber die Titelverteidigung Kohls ermöglichte. Wie die Mannschaft, so das Land? Schon oft schien der Fußball Spiegelbild der Gesellschaft zu sein - Reformstau und Abschlussschwäche auf beiden Seiten. Da waren Politiker wie Kicker defensiv, unkreativ - ein leidiges Ballgeschiebe im Mittelfeld. Selbst die kämpferischen Tugenden von einst reichten oft nicht mehr aus, um die Nation zu beglücken. Deutschland, der kranke Mann Europas - auf dem Rasen und in der Wirtschaft. Für die große Koalition ist Bundestrainer Jürgen Klinsmann deshalb zum Hoffnungsträger geworden: Der Fußballreformer hat die Mannschaft aus der alternden Depression befreit und das skeptische Land positiv verunsichert. Mit ihm hat Angela Merkel schon heimlich zu Abend gegessen, ihm stärkte sie neulich auf dem Fußballgipfel nach der 1:4-Italienpleite demonstrativ den Rücken. Klinsmann ist der Signalgeber für Innovation, Aufbruch und Aufschwung, der Merkel gerne sein will. Nur, was ist, wenn der Erfolg bei der WM frühzeitig ausbleibt? Mancher Experte glaubt dann an einen psychologischen Knick, und daran, dass das Vertrauen in die große Koalition weiter schwinden könnte. Merkel darf dennoch gelassen bleiben - gewählt wird schließlich erst 2009.

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