Präsident hat nur Angst vor einem Kuss

Washington · Was macht eigentlich Donald Trump während der Sicherheitskonferenz? Er hält eine aggressive Rede vor Anhängern in Florida und will von einem chaotischen Start ablenken.

Washington Es ist ein spontaner Einfall, jedenfalls so gut inszeniert, dass man glauben könnte, es sei ein spontaner Einfall. Donald Trump holt einen Fan auf die Bühne, den er scheinbar zufällig in den Zuschauerreihen entdeckt hat, einen Mann mit Dreitagebart, dessen dunkles T-Shirt das Konterfei des US-Präsidenten ziert. Launig weist er seine verblüfften Leibwächter an, ihn über die Absperrgitter klettern zu lassen. Er habe keine Angst vor ihm, höchstens davor, dass er ihm einen Kuss geben könnte, witzelt er. Am Rednerpult angelangt, darf der Mann zwei Sätze sagen, dann schiebt ihn Trump vom Mikrofon weg, um im Stile eines Boxpromoters zu rufen: "Ein Star ist geboren!"
Das kann er, das Spiel beherrscht er, die Zurschaustellung vermeintlicher Volksnähe ist sein Erfolgsrezept. Folgerichtig kehrt er gut drei Monate nach dem Ende der Präsidentschaftskampagne zurück auf eine Wahlkampfbühne. Er ist nach Melbourne an der "Weltraumküste" Floridas geflogen, um in einem Flugzeughangar Bestätigung zu suchen. Weit weg von Washington, wo sich der Eindruck verdichtet, dass die Bürde des Amtes diesen unberechenbaren, ungeduldigen Narziss überfordert. Es wirkt wie eine Flucht aus der Realität.
Und wie schon im Wahlkampf sind es die Medien, die Trump aufs Korn nimmt. Die Fake-News-Medien, wie er sie nennt. Die Fake-News-Medien seien nicht seine Feinde, sie seien Feinde des amerikanischen Volkes, twitterte er am Abend vor der Kundgebung. "Sie haben ihre eigene Agenda, und ihre Agenda ist nicht unsere Agenda", sagt er in Melbourne, bevor er von einem angeblich unterschlagenen Terroranschlag in Skandinavien faselt. "Guckt euch an, was letzte Nacht in Schweden passierte", sagt er und lässt nicht nur die Schweden rätseln, was er gemeint haben könnte. Es gibt Wortmeldungen amerikanischer Psychologen, die dem 70-Jährigen nahelegen, sich auf die Couch zu legen, um sich auf Persönlichkeitsstörungen überprüfen zu lassen. In Wahrheit scheint eine ausgeklügelte Strategie hinter der Medienschelte zu stecken. Der Präsident, der weiß, dass ihn das Parlament nicht bremsen wird, weil seine Republikaner dort zumindest bis zur nächsten Kongresswahl eine komfortable Mehrheit stellen, folgt einem Muster, wie es Autokraten gemeinhin anwenden. In dem Versuch, seine Machtfülle noch auszubauen, redet er dem Publikum ein, dass allein seine Version die glaubhafte sei.
Zudem, das ist der taktische Aspekt seiner Attacke, will er ablenken von einem Start in die Präsidentschaft, den sogar Parteifreunde als turbulent charakterisieren. Mit fieberhaftem Aktionismus wollte der hemdsärmelige Milliardär den Eindruck erwecken, dass er, ein Mann der Tat, seine Wahlversprechen zack, zack erfüllt. Kritiker sprechen von Staatstheater, denn in der Sache ist bislang relativ wenig passiert. Trumps Einreiseverbot für Staatsbürger von sieben muslimisch geprägten Ländern hat die Gerichte auf den Plan gerufen, die das Dekret postwendend kassierten. Seinen Sicherheitsberater musste er nach 24 Tagen im Amt entlassen, der Nachfolgekandidat gab ihm einen Korb: Robert Harward, ein ehemaliger Navy Seal, führte familiäre Gründe für seine Absage ins Feld.
Es war der bislang letzte Beleg für die Atmosphäre akuter Verunsicherung, wie sie im Weißen Haus offenbar herrscht. Hatte der Kandidat Trump großspurig angekündigt, Obamacare, die unter Konservativen verhasste Gesundheitsreform seines Vorgängers, durch etwas "Wunderbares" zu ersetzen, zeigt sich nun, dass Wunder länger dauern. Im Moment grassiert die Angst, die Regierung könnte schlicht die Axt an den Status quo ansetzen, so dass Millionen von Neuversicherten ihre Krankenversicherung verlieren, ohne dass bezahlbare Alternativen geschaffen werden. Innenpolitisch ist es das Thema, das vielen Amerikanern am meisten unter den Nägeln brennt. Doch an Substanz hat Trump in Melbourne praktisch nichts Neues zu bieten - außer Versprechungen. "Das wird ein Wandel für die Ewigkeit", sagt er, "ein Wandel, wie es ihn nie zuvor gab".

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